(Hier lesen Sie die ungekürzte Fassung der Laudatio, die in Übersetzen Heft 01/2019 in Auszügen abgedruckt ist, sowie die Dankesrede von Katharina Raabe.)
Verleihung der Übersetzerbarke 2018 an Katharina Raabe durch Patricia Klobusiczky, 1. Vorsitzende des VdÜ
Liebe Katharina, liebe Jury, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren,
zum Hieronymustag, dem Internationalen Übersetzertag, der weltweit am 30. September begangen wird, erschien dieses Jahr in der Berliner Zeitung unter dem Titel „Unsichtbare Künstler“ ein schönes Porträt unserer Zunft am Beispiel von Isabel Bogdan. Darin erwähnt die Autorin Barbara Weitzel auch die Übersetzerbarke:
„Die Übersetzerbarke geht jedes Jahr an eine Person der Branche, die sich in besonderer Weise um diesen Berufsstand verdient gemacht hat – das können Verleger, Kritiker, Veranstalter sein. Sie bekommen den Preis, weil sie, wie Sebastian Guggolz, anständige Honorare zahlen und die Namen der Übersetzer auf das Cover drucken. Oder weil sie sich, wie Elke Schmitter, die 2015 ausgezeichnet wurde, in Rezensionen behutsam und kritisch mit deren Kunst auseinandersetzen. Es sind Personen, die das Übersetzen sichtbar machen, und wenn man Guggolz‘ Worte ein wenig in sich bewegt, wird einem die Ungeheuerlichkeit dieses Preises bewusst. Weil es ihn gar nicht geben dürfte. Weil er für Leistungen vergeben wird, die selbstverständlich sein sollten.“
Da möchte ich Frau Weitzel keineswegs widersprechen, doch selbst in einer perfekten Welt, in der unsere übersetzerische Arbeit stets die verdiente ideelle und materielle Anerkennung genießen würde, wäre das, wodurch sich unsere heutige Preisträgerin auszeichnet, vermutlich immer noch alles andere als selbstverständlich.
Warum? Weil Katharina Raabe, die früher Geigenlehrerin war, später Philosophie und Musikwissenschaft studierte, sich danach des schwierigsten Bereichs in der Verlagsbranche angenommen hat: der Entdeckung und Vermittlung von Literatur aus Ost- und Mitteleuropa. Zunächst beim Rowohlt Berlin Verlag, den sie im Jahr 2000 verließ – und es sagt schon alles über ihre Fähigkeiten als Lektorin und über ihre einzigartige Persönlichkeit, dass nach ihrem Weggang Autoren wie Imre Kertész oder Péter Nádas nicht bleiben wollten. Seit bald zwanzig Jahren ist sie nun für Suhrkamp tätig und hat in so unterschiedlichen Sprach- und Kulturräumen wie die Ukraine, Georgien, Bosnien, Litauen, Russland, Tschechien, Ungarn und Polen manchen Klassiker zu Lebzeiten – wie Tomas Venclova – und viele neue Stimmen entdeckt, die hierzulande immer stärker vernommen werden, wie die von Joanna Bator, Serhij Zhadan, György Dragomán oder Alissa Ganijewa.
Wie macht sie das? So viele verschiedene Sprachen spricht doch kein Mensch! Und wie gelingt es ihr, Autoren und Autorinnen aus diesen sogenannten kleineren Sprachen bei ihrem Verlag und dann in der literarischen Öffentlichkeit durchzusetzen, deren Namen man hier, wie Katharina Raabe selbst sagt, „schon kaum aussprechen kann“? Am Anfang steht die Neugier, mit der sie sich – und damit auch uns – immer wieder neue Literaturszenen erschließt, ob in der Ukraine, in Weißrussland oder in der ungarischsprachigen Diaspora. Dann kommen ihre Leidenschaft und Überzeugungskraft ins Spiel, ohne die selbst ein so wagemutiges und vielseitiges Traditionshaus wie Suhrkamp vor Lyrik aus Minsk oder Essayistik aus Iwano-Frankiwsk kapitulieren würde. Und da sind auch die Übersetzer – wie Thomas Weiland – und Übersetzerinnen – wie Claudia Dathe -, die Katharina Raabe schon früh einbezieht, noch vor der Akquise und Übersetzungsvergabe, weil sie ihrem Urteil vertraut, sich von ihnen in diese fremden Welten führen und geleiten lässt, um bisher „stumme“, also nicht übersetzte Literaturen, bei uns erklingen zu lassen. Und da, wo es an Übersetzern fehlt, wie noch vor fünfzehn Jahren für Ukrainisch – heute unvorstellbar, da nach Juri Andruchowytsch und Serhij Zhadan viele weitere Entdeckungen folgten -, da sucht sie sich welche, fast möchte man sagen: schmiedet sie, backt sie sich welche, die später zu Ruhm und Ehren gelangen, wie beispielsweise Sabine Stöhr, in der Katharina Raabe früh die „Hoffnungsträgerin für eine ganze marginalisierte Literatur“ erkannte und die dieses Jahr gemeinsam mit Juri Durkot für ihre Übersetzung von Zhadans neuestem Roman Internat mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wurde.
Auf die Entdeckung folgt – ebenso leidenschaftlich und dialogintensiv – die Arbeit am Text. Hier kommt Katharina Raabe sicher ihr musikalisch geschultes Ohr zugute. Ohne Russisch, Ungarisch oder Serbisch studiert zu haben, hat sie sich, wiederum mit beispielloser Hingabe, sehr viele Sprachkenntnisse angeeignet, die ihr in den allermeisten Fällen bereits einen Zugang zum Originaltext erlauben, den sie mit Unterstützung ihrer jeweiligen Gewährsleute eingehend untersucht. Es gibt nur eine Sprache, für die ihr laut eigener Aussage zunächst jede Grundlage fehlte: Georgisch. Ich nehme an, dass sich auch das inzwischen geändert hat.
Gerade weil Katharina Raabe so viel am Originaltext liegt, ist sie eine hervorragende Lektorin für Übersetzungen, nämlich so fordernd wie fördernd. Sie sagt selbst, dass die Literatur, die sie zu uns holt, nur dann eine Chance hat, wenn diese sich liest wie ein sehr guter deutscher Text (der durchaus widerständig sein darf). Folgerichtig behandelt sie ihre Übersetzer wie Autoren, was sie ja auch sind, Autorinnen der deutschen Fassung, sie möchte deren Arbeit, wie sie selbst sagt, „würdigen und verstehen“. Sehr oft bezieht sie auch die Originalautoren mit ein, wenn nötig, noch weitere Experten, um den Text bis ins kleinste Detail und auf allen Ebenen zu durchleuchten und abzuklopfen, im Hinblick auf Klang und Rhythmus, Syntax und Metaphorik, auf alles, was den ganz eigenen Ton eines Werks ausmacht. Wenn bei einem Autor wie Andruchowytsch die Polyphonie – das Nebeneinander von verschiedenen Sprachen, Dialekten, ja sogar historischen Sprechweisen – eine wesentliche Rolle spielt, sucht Katharina Raabe gemeinsam mit ihrem Team so lange nach möglichen Entsprechungen im Deutschen, bis diese gefunden sind. Möglich ist das, weil sie in den vielen Jahren ihres Wirkens nicht nur ein gewaltiges Netzwerk geknüpft hat, von der Mitte Europas bis zum östlichen Rand, sondern auch, weil ihr Lektoratsbüro sowohl „Gelehrtenklause“ als auch „Debattierclub“ sein darf. Dort werden „übersetzerische Notstandsgebiete“ zu blühenden Biotopen, wird der europäische Zusammenhang literarischer Avantgarden von Berlin bis Moskau, von Paris bis Bukarest nach einem Jahrhundert voller Kriege und Umwälzungen wieder hergestellt.
Dass Katharina Raabe ihren Übersetzern und deren Werk mit Hochachtung und großer Sensibilität begegnet und daraus eine schöne und produktive Zusammenarbeit erwächst, hat sich schon längst herumgesprochen. Vielleicht hat das auch ein wenig damit zu tun, dass der legendäre Übersetzer Peter Urban ihr Mentor für Literatur aus dem Russischen und Serbischen war, als sie noch ganz am Anfang ihrer Lektorinnenlaufbahn stand. Ergänzend möchte ich aber eine Kollegin zitieren, die schon seit vielen Jahren für sie übersetzt und mir vor Kurzem schrieb: „Katharina ist einfach die geborene Lektorin, das Ideal, wie wir es uns wünschen. Sie sieht genau hin, macht Vorschläge, die zum Text passen – als wäre sie ich, genau so tief drin in der Materie.“
Aus diesem Grund wird Katharina Raabe – Meisterin der angewandten Geopoetik -, die bereits mit dem Bundesverdienstkreuz und dem Deutschen Sprachpreis geehrt wurde, die selbst so viele preisgekrönte Autoren für den deutschsprachigen Raum entdeckt und etlichen Übersetzerinnen zu Preisen verholfen hat, heute mit der Übersetzerbarke des VdÜ ausgezeichnet.
Gestaltet wurde ihre Barke – wie stets ein Unikat – von der Keramikkünstlerin Ute Kathrin Beck. Ihre Plastiken könnte man auch als eine Art von Übersetzung deuten, die mit den Formen von Gebrauchsgefäßen spielt und damit eine Fülle neuer Assoziationsmöglichkeiten schafft, vom archaischen Kultgegenstand zum futuristischen Objekt. Dafür wurde sie ebenfalls schon mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Staatspreis des Landes Baden-Württemberg.
Bevor ich Dir, liebe Katharina, diese Barke überreiche, möchte ich im Namen unseres Verbands noch allen herzlich danken, die uns die Zeremonie hier vor Ort ermöglichen: der Frankfurter Buchmesse und den Organisatoren des Weltempfangs, Hanna Kopp und Joscha Hekele; allen Kolleginnen und Kollegen, die am Programm des Weltempfangs mitwirken, insbesondere Annette Kopetzki und Ingo Herzke. Und natürlich den Frankfurterinnen, die gleich nebenan unseren Stand betreuen, unter anderen Andrea von Struve, Petra Post und Ilse Strasmann. Dort finden sich auch sehr lesenswerte Bücher, die unsere Preisträgerin herausgegeben hat.
Und nun wird es höchste Zeit für die feierliche Überreichung: Liebe Katharina, wir gratulieren von Herzen zur Übersetzerbarke 2018!
Dankesrede von Katharina Raabe
Liebe Patricia, liebe Mitglieder der Jury, liebe Kollegen und Freunde,
die Auszeichnung, so sehr sie mich freut, vor allem schüchtert sie mich ein. Übersetzern gegenüber empfinde ich eine Scheu, die ich bis heute nicht abgelegt habe. Früher, in meinem ersten Beruf, Musikerin, waren es die Leute, die unerreichbar gut spielen konnten. Die glühend bewunderten Geigerinnen, deren Spiel mich hinriss und die mich mit jeder Faser meines eigenen Gut-spielen-Wollens begreifen ließen, dass ich es so niemals können würde, egal, wie viel ich übte.
Manches Mal, wenn ich eine Übersetzung las, musste ich daran denken: wie die Sätze klingen, mit welcher Subtilität ein kompliziertes Satzgefüge ausbalanciert ist, welche zärtliche Färbungen bestimmte Wörter, aus dem Polnischen oder Russischen herübergeholt, plötzlich auf Deutsch annehmen können; wie sie unserer Sprache etwas dazugeben, was sie bisher nicht hatte. Mein Gefühl für die Schöpferin dieser Übersetzung ist dann ähnlich: dankbar, bewundernd („das könntest du nie!“).
Die Scheu hat aber auch einen trivialen Grund, in den sich vermutlich etwas wie schlechtes Gewissen hineindrängt. Ich weiß, ich könnte das nicht. Als freie Bühnenkünstlerin oder als freie Übersetzerin existieren. Von Engagement zu Engagement, von Auftrag zu Auftrag, sich mit Geldsorgen herumschlagen, sich über unfaire Honorierung und mangelnde Anerkennung, ja, über die Missachtung eines ganzen Berufsstandes ärgern.
Die psychologische Ausgangslage ist also nicht unkompliziert. Das stressige Machtgefälle: das Herr-Knecht Verhältnis nach Hegel: Übersetzer produzieren, Lektoren/Verlage lassen produzieren. Ohne unseren Auftrag könnten sie ihr Buch nicht übersetzen; ohne ihre meist zähneknirschende Zustimmung zu den angebotenen Vertragsbedingungen wir es nicht herausbringen. Die Thematik, die sich hier anschließt, würde unsere Barke sinken lassen.
Was die Sache weiter kompliziert, ist die heikle Konstellation, in der wir agieren. Eure Autorin ist auch meine Autorin. Sehr oft, aber nicht immer!, habe ich euch zusammengebracht, habe eine Arbeitsbeziehung, manchmal sogar eine Freundschaft gestiftet. Im schönsten Fall stecken wir drei über dem Manuskript die Köpfe zusammen, im schlimmsten Fall schlagen wir sie uns ein.
Dann ist da noch der Verlag, der unserem Projekt guten Glaubens zugestimmt hat; am Ende muss ein Buch stehen, kein Eklat.
Mit der ménage à trois hat es in unserem Fall eine besondere Bewandtnis. Ich akquiriere oft Manuskripte oder Bücher, die ich in Gänze erst lesen kann, wenn die Übersetzung da ist. Was, wenn da etwas anderes herausgekommen ist als erwartet? Zum Glück sind diese Fälle selten; dank des exzellenten Netzwerks, das über viele Jahre gewachsen ist, und dank einer Gestaltungsfreiheit im Programmmachen, die nur bei Suhrkamp möglich war und ist. Osteuropäische Literatur aus mehr als einem Dutzend Sprachen, Autoren aus den unterschiedlichsten literarischen Kontexten – da sollten möglichst nicht Zufall und Zuruf Regie führen, sondern ein Traum von der Sache existieren: nur das allerbeste, oftmals riskante, dennoch möglichst vermittelbare zu machen. Bücher, die wir unbedingt selbst lesen wollen und die durchzusetzen wir uns zutrauen.
Ohne meine Übersetzer wären viele Literaturen stumm. Es sind ganz außerordentliche Übersetzer, vielsprachige, weltkundige Menschen und echte Sprachkünstler, mit denen ich das Glück habe, seit über zwanzig Jahren zusammenarbeiten zu können.
Kürzlich schlug ich mal wieder die Essays einer meiner Lieblingsautorinnen auf und blieb an einem vor langer Zeit unterstrichenen Satz hängen: To read a book well, one should read it as if one were writing it.
Wenn Übersetzer und Lektoren etwas gemeinsam ist, so die Beherzigung und Verinnerlichung dieses Satzes. Wenn ich ein künftiges deutsches Buch, sagen wir, aus dem Bosnischen oder Ukrainischen zum ersten Mal in der Übersetzung lese, so lese ich, als schriebe ich einen deutschen Text. Während die Übersetzer ihn, daher ja meine Bewunderung, im Original schreibend gelesen und auf Deutsch lesend geschrieben haben.
Das klingt dreist. Dabei versuche ich nur, dem Text, der aus einer fremden Gegend kommt, dessen Verfasser einen konsonantenreichen, unvertraut klingenden Namen trägt und auf dessen Buch niemand gewartet hat, schon mal einen Anlegeplatz im hiesigen Heimathafen zu sichern. Ich sehe es in der Ferne kommen und lotse es herein.
Für die Übersetzer wird das gefährlich. Im Extremfall verfährt ein Rambo-Lektorat mit ihrem Text wie mit Rohmaterial, aus dem es, sich mit dem polyglotten Autor verbündend, ein lesbares Buch macht.
Im glücklichsten Fall wird aus dem Bemühen, ein gutes Buch zu machen, ein Abenteuer zu dritt. Eure Fragen sind nicht immer meine Fragen. (Und manchmal mute ich den Übersetzern die Rolle eines Blindenführers zu!). Doch unsere Fragen multiplizieren sich – kann etwas Besseres passieren als eine dergestalt multiple, kritische, konstruktiv gestimmte Schreiblektüre? Das Ringen um Formulierungen, Streichen von bereits übersetztem Text, das Hin- und Herschicken und Durchsehen von Fassungen erfordert Geduld, Zeit, Nervenstärke. In den Originalverlagen fehlte oft das Lektorat; wir holen es nach. Ein Aufwand, der den Übersetzern weit mehr abverlangt, als vertraglich vereinbart war.
Diesen Herbst habe ich das siebte Buch eines meiner Autoren lektoriert. Er spricht ein spät gelerntes, literarisches, absolut erstaunliches Deutsch. Seine Übersetzerin nennt er genial, ein Lob, das sie in Panik versetzt. Es ist ihre makellose, seinem arabesken Satzbau sich anschmiegende Übersetzung, die er mit mir durchsieht und an der er dann noch so manches ändern will. Ich schicke die Fassung an die Übersetzerin, gemeinsam machen wir einige seiner Ideen wieder rückgängig, er wiederum protestiert – so ging es eine Weile hin und her. Das Manuskript war schon fast satzfertig, da kamen zwei letzte Fragen. Er schrieb zurück: „Schelling hat mal notiert, der sicherste Weg ein Kunstwerk zu verderben sei seine Vervollkommnung. Ich sehe, Du sinnierst immer noch über XY und suchst nach absoluter Verständlichkeit, Richtigkeit, Genauigkeit … Dafür bin ich sehr dankbar, bitte Dich jedoch nicht zu vergessen, dass ein Buch auch von seinen Fehlern und Mängeln lebt.“
Vielleicht sollten wir uns dieses Lob der Unvollkommenheit häufiger zu Herzen nehmen. So schwankend und labil wie eine Barke, die man allzu großen Belastungen nicht aussetzen darf, ist unser gemeinsames Werkeln an den Büchern.
Ohne eine phantastische Übersetzungskultur hierzulande wären diese riskanten Unternehmungen nicht möglich. Unterstützt von selbstgeschaffenen Institutionen wie dem DÜF, dem EÜK Straelen, den vielen selbstinitiieren Fortbildungsmöglichkeiten für Übersetzer (und Lektoren!) können wir uns immer wieder Räume schaffen, um vernünftig zu arbeiten.
Ich danke der Jury für diese einzigartige Auszeichnung. Allen Übersetzern, die dafür sorgen, dass die Bücher der Verlagsprogramme ein aufregendes, sich ständig bereicherndes Deutsch miteinander sprechen. Und meinen tollen Kollegen, dem Verlag, der uns machen lässt. In diesen Zeiten fast schon ein Wunder.