(Dies ist die ungekürzte Version des Beitrags, der in der Printausgabe aus satztechnischen Gründen ohne die Hintergrundinformationen zu rechtlichen Aspekten der Übersetzernennung – hier der zweite Absatz – veröffentlicht wurde.)
Auf der VdÜ-Website steht unter Berufspraktisches > Gute Sitten ein Hinweis zur Übersetzernennung, der sich an Verlage, Bibliotheken, Zeitungen/Zeitschriften und Veranstalter richtet. Dessen wohl kürzest mögliche Formulierung findet sich in den „Sechs Geboten“, im CEATL-Hexalog von 2011: „Übersetzer*innen werden überall namentlich genannt, wo die Autor*innen der Originale genannt sind.“ Soweit, unter berufspolitischer Maßgabe, so unstrittig.
Der deutliche Hinweis geht auf eine Initiative des Freundeskreises zur Förderung literarischer und wissenschaftlicher Übersetzungen zurück und bezieht sich auf die Berner Übereinkunft von 1979 (erstmals 1886 auf Anregung von Victor Hugo) und die UNESCO-Empfehlung zum rechtlichen Schutz von Übersetzern aus dem Jahre 1976. Zwar entfalten die Empfehlungen der UN-Organisation, ähnlich denen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), keine direkte Bindungswirkung – in Deutschland aber macht sich das Urheberrechtsgesetz den Standpunkt der Berner Übereinkunft, die als völkerrechtlicher Vertrag sehr wohl rechtsverbindlich ist, samt Namensnennungsrecht zu eigen.
Literaturübersetzerinnen als Akteure
Adressaten der VdÜ-Handreichungen sind in erster Linie die wesentlichen, weil institutionellen Akteure bei der (Un-) Sichtbarmachung von Übersetzerinnen. Ein anderer Akteur wird dagegen nicht ausdrücklich angesprochen: die Literaturübersetzerinnen selbst. Besonders relevant wäre ein solcher „Arbeitsauftrag“ für Sachbuch- und wissenschaftliche Übersetzerinnen, denn in deren Arbeitsgegenständen wird meist ausgiebig zitiert – auch aus Büchern, die bereits in Übersetzung vorliegen.
Den Zitaten fällt, insbesondere in Geistes- und Sozialwissenschaften, für gewöhnlich eine zentrale Rolle als Material oder gar Stütze des Textes zu. Zitate dementsprechend ernst zu nehmen, heißt im Sinne der Quellenbeschreibung auch, vollständige bibliographische Angaben zu machen, sprich: Kolleginnen als Urheber der Übersetzungen zu nennen. Selbstverständlich würde mit textkritischer Sensibilität beispielsweise gesagt werden: Wir lesen Hardt und Negri durch Thomas Atzert und Andreas Wirthensohn, und Nancy Fraser durch Karin Wördemann. Dies mag auf Widerstände stoßen, wird damit doch die Idee der Identität von Original und Übersetzung unter Vorbehalt gestellt, die Illusion der Unmittelbarkeit von Text und Leser erschüttert. Um ein Beispiel aus der Praxis zu nennen: Eine meiner Autorinnen zitiert aus The Philosophy of Marx, Balibar in englischer Version von Chris Turner; es geht um ‚economic determinism‘. Im deutschen Text von Frieder O. Wolf findet sich ein ‚ökonomischer Voluntarismus‘. Die (erklärliche) terminologische Differenz fiel für diese Übersetzung nicht ins Gewicht, es könnte sich aber auch anders verhalten.
Übersetzernennung immer noch nicht üblich
Die Übersetzernennung kann also en passant, nicht erst im Notfall der Bedeutungsrelevanz dazu beitragen, das Rezeptionsbewusstsein bei Lesern, Lektoren und Autoren zu schärfen. Möglich war eine durchgängige Übersetzernennung im Literaturverzeichnis schon vor den IT-basierten Metakatalogen – unter Beweis gestellt hat dies beispielsweise Christian Spiel mit Siegbert Prawers Karl Marx und die Weltliteratur. Üblich aber ist sie bis heute nicht: Eine Stichprobe mit 14 übersetzten Büchern der Bereiche Geschichte und Politik, die deutsche Titel in der Bibliographie verzeichnen, ergab: In sieben Bibliographien – also genau der Hälfte – findet sich noch nicht einmal ein Hinweis, dass es sich bei den verzeichneten Übersetzungen um Übersetzungen handelt. Mit der Übersetzernennung in den Literaturangaben wissenschaftlicher und Sachbücher zeigen wir selbst die Wertschätzung, die wir von anderen einfordern. Und irgendwann stehen die Übersetzerinnen mit ihren Autorinnen auf dem Bucheinband! So ist es in Spanien schon heute, und seit langem im Iran.