(Hier lesen Sie die ungekürzten Fassungen der Jurybegründung für den Preis der Leipziger Buchmesse, der Laudatio von Alida Bemer sowie von Brigitte Döberts Dankesrede, die in Übersetzen Heft 02/2016 jeweils in Auszügen abgedruckt sind.)
Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Übersetzung 2016 an Brigitte Döbert
Die Begründung der Jury
Unübersetzbar: Es gibt Bücher, denen dieser Ruf vorauseilt, als wäre es ihr Schicksal. Ein trauriges Schicksal, denn es würde bedeuten, dass es aus der Sprache seines Ursprungs nicht heraus kann, und ein umso traurigeres, wenn diese Sprache nicht groß ist. Aber manche Übersetzer und Übersetzerinnen fühlen sich gerade durch solche 8000er der Literatur herausgefordert. So erging es offenbar auch Brigitte Döbert, die das Opus magnum des serbischen Autors Bora Ćosić ins Deutsche gebracht hat: Die Tutoren. Es ist ein Buch, das fünf Generationen, 150 Jahre und eine unglaubliche Menge von Personal umfasst.
Brigitte Döbert hat viel Zeit und Herzblut in dieses Projekt gesteckt, sie hat recherchiert, wie es so flächendeckend erst heute, im Zeitalter des Internets, geht, um noch den obskursten Anspielungen nachzuspüren, und für jede Nuance den eigenen Ton gefunden. Außer von der Pflicht zur Genauigkeit hat sie sich auch von jener Kühnheit leiten lassen, die man braucht, wenn man dem weit entfernten Fremden in der neuen Sprache eine Heimat schaffen will.
Alida Bremer: Laudatio anlässlich der Verleihung des Straelener Übersetzerpreises der Kunststiftung NRW 2016 an Brigitte Döbert
Liebe Brigitte Döbert, liebe Christine Ammann,
sehr verehrte Damen und Herren,
im Vorwort der serbischen Übersetzung von Don Quijote wird die Anekdote erzählt, von der auch Ernst Bloch in Das Prinzip Hoffnung berichtet: „Als ein spanischer König vom Fenster seines Schlosses einen Mann sah, der sich beim Lesen vor Lachen bog, sagte er: Der Mann ist entweder verrückt, oder er liest den Don Quijote.“
Zu den Erinnerungen an meine Studienzeit an der Belgrader Universität gehört auch jene an die Entdeckung des Romans Tutori von Bora Ćosić. Hätte jemand mich damals beim Lesen beobachten können, dann hätte er womöglich auch ausgerufen: Die Frau ist entweder verrückt, oder sie liest den neuen Roman von Bora Ćosić, denn warum sonst würde sie beim Lesen kichern und unkontrolliert lachen? Die hintergründige und bisweilen burleske Komik dieses Buchs ist nun auch den deutschen Lesern zugängig – dank der Übersetzung von Brigitte Döbert.
Doch reicht uns das Wort Übersetzung, um das sprachliche Kunstwerk, das in deutscher Sprache unter dem Namen Die Tutoren erschienen ist, zu beschreiben?
Für Theodor, den Urtutor im Meisterwerk vor Bora Ćosić, steht fest: Am Anfang war das Wort, und das Wort sei „jenes, was dem Munde entweicht, so mir scheint, ich müsste mich erbrechen oder echauffieren. Buchstabenstapel zu einem Gegenstande, welchen der eine versteht, der andre nicht“. Goethes Faust lässt uns in der Szene, in der des Pudels Kern erkannt wird, Zeugen seiner Unschlüssigkeit werden, als er nämlich über die Übersetzung des Satzes „Im Anfang war das Wort“ nachdenkt. Er fragt sich, ob im Anfang der Sinn oder die Kraft oder gar die Tat war. Faust denkt in zwei Kategorien, einer philologischen – logos dürfte zu einem der am schwierigsten zu übersetzenden griechischen Wörtern zählen -, und in einer theologischen.
Der knurrende Pudel liegt hinter dem Ofen, während Faust in seinem Studierzimmer um den richtigen Begriff ringt. Übersetzen ist immer auch eine Interpretation. Doch die Anforderungen an die Übersetzer unterscheiden sich stark voneinander. Nicht alle Wörter sind derart vieldeutig wie logos. Nicht alle Werke sind so komplex wie Die Tutoren. Dieses Werk ist zudem von einer weiteren Steigerung gekennzeichnet: Der Übersetzerin, die sich wagemutig der Herausforderung gestellt hat, dieses polyphone, karnevalistische Werk ins Deutsche zu übertragen, war bewusst, dass in diesem Roman die Sprache der Hauptheld ist. Deshalb suche ich nach einer anderen Bezeichnung für ihre besondere Tat. Um es mit Goethe zu sagen: „Ich kann das Wort Übersetzung so hoch unmöglich schätzen, ich muss es anders nennen“. Ein neues Wort finden, um die verspielte Leichtigkeit gebührend zu würdigen. Um die detektivische Entschlüsselung der verrücktesten Einfälle der unablässig sprechenden Tutoren zu bewundern. Um die kreative Kraft zu ehren, mit der Brigitte Döbert Die Tutoren in der deutschen Sprache neu erschaffen hat.
Ich frage mich, was der spanische König gesagt hätte, hätte er Brigitte Döbert beim Übersetzen dieses Buchs beobachten können? Hat sie sich vor Lachen gekugelt, Purzelbäume geschlagen, in einem Meer aus Lexika und Zetteln geschwommen, Heureka gerufen, sich verzweifelt die Haare gerauft?
Da wäre zum Beispiel die Beschreibung eines Bilderrätsels: Das Lösungswort war der Name des mexikanischen Vulkans Popocatépetl. Die Bildchen, die zur Lösung führen, sind in den deutschen Tutoren eine Erfindung der Übersetzerin, denn die Bildchen des Originals getreu zu übersetzen, hätte zu nichts geführt. Mir hat ihr Bilderrätsel besser gefallen als jenes des Originals. Als ich das letzte Kapitel las, in dem eine Amts- und Verordnungssprache verwendet wird, verstand ich, dass dieses Kapitel erst in der Übersetzung seinen ganzen Zauber entfaltet. Welche Sprache eignet sich dafür besser als Verwaltungsdeutsch? „Verordnung über die Kenntnis der Nutzung der Jahreszeiten sowie von zweckdienlichen Nutzungen verschiedener Eigenschaften des Wetters im Allgemeinen.“ „Durchführungsrichtlinie vom Anbrechen der Nacht, mit tabellarischem Verzeichnis der Tag- und Nachtgleichen inklusiver aller Abstufungen“. Oder wie Brigitte Döbert an anderer Stelle seitenweise reimt und dabei die Szenen aus dem serbischen Bauernleben, in denen Leben und Tod ein eng umschlungenes Paar bilden, so deutsch erklingen lässt, dass einem bewusst wird, dass Bauern und ihre Weisheiten so universell sind wie das Leben und der Tod selbst.
Doch ein besseres Wort als Übersetzung gibt es nicht. Höchstens die Metapher des Pfropfverfahrens, zu der mich die Übersetzerin selbst geführt hat. Im Begleitheft zur deutschen Ausgabe der Tutoren schreibt sie, wie sie zum Wort Geißfußveredelung gekommen ist. Es ist ein Pfropfverfahren; in der Wikipedia heißt es zum Pfropfen ganz poetisch: „Eine veredelte Pflanze ist eine Chimäre, also ein Organismus, der aus genetisch unterschiedlichen Geweben aufgebaut ist und dennoch ein einheitliches Individuum darstellt.“
Sehr ähnlich wie diese Übersetzung.
Michail Bachtin, dessen Studie „Literatur und Karneval“ uns hilft, das Lachen in den Tutoren zu verstehen, hat François Rabelais und Miguel de Cervantes eine herausragende Stellung zugesprochen. Sie waren es, die die Gattung Roman etablierten, an der Grenze zwischen Volkskultur und offizieller Kultur, d. h. an der Grenze zwischen Volkssprache und dem Lateinischen. „Besondere Erwähnung verdient die große Bedeutung der Übersetzung […]. Das literarisch-sprachliche Bewußtsein fand sich nicht im geordneten System einer einzigen über jeden Zweifel erhabenen Sprache, sondern an der Grenze vieler Sprachen; dort wo sie sich aneinander orienterten […]“. Da wo Großes in der Literatur entsteht, werden sprachliche Grenzen überwunden. Bei der Übertragung des serbischen Originals hat Brigitte Döbert der deutschen Sprache ungeahnte Möglichkeiten entlockt. Sie hat sie auch zu eigenen vergessenen Schätzen zurückgeführt: Bora Ćosić ist ein Verehrer von Grimmelshausen und seinem Simplicissimus sowie der Neuruppiner Bilderbögen, und auch Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull sind ihm nicht fremd. Brigitte Döbert hat zudem das serbische Original um die verschiedenen Vorzüge der Möglichkeiten der deutschen Sprache bereichert.
Wir Belgrader Literaturstudenten bewunderten Bora Ćosić als einen vom Surrealismus geprägten, politisch subversiven und mit allen avantgardistischen Verfahren ausgestatteten Spaßvogel. Sein opus magnum, das bewusst wie die fünf Bücher Mose aufgebaut ist, war so etwas wie ein postmoderner Schock für uns. Vermutlich stand ich aufgrund meiner frühen Begeisterung für diesen Roman ungewollt Pate für einen Spruch, den das deutsche Feuilleton in den letzten Monaten fleißig wiederholt: den Spruch über die Unübersetzbarkeit dieses Romans, die nun überwunden sei. 1994 übersetzte ich für die Zeitschrift „Schreibheft“ ein viel beachtetes Dossier, das der Autor selbst zusammengestellt hatte, in dem er u.a. sein work in progress erklärte, in dessen Zentrum er seine „Volkschrestomanthie“ Tutori setzte und verkündete, in diesem „Monster-Roman“ sei alles „Niedrige“, „Volkstümliche“ und „Außerkünstlerische“ versammelt, was sich jenseits der „schönen Literatur“ in der Sprache abspiele. Nach dem Erscheinen dieses Dossiers wurde ich immer wieder auf diesen Roman angesprochen. Es sei ein großartiges Buch, erwiderte ich enthusiastisch, etwas zwischen Rabelais, Joyce und Laurence Sterne, in den Schluchten des Balkans angesiedelt und mit kakanischen Verstrickungen versehen, dazu noch eine Dekonstruktion der ideologischen Diskurse inmitten der sozialistischen Realität. Ein Schrecken für jeden anständigen Verleger! Meine Begeisterung, angereichert durch drastische Beispiele für unübersetzbare Wortspiele, machte die Zuhörer meist ratlos.
Ich befürchte, dass die These von der Unübersetzbarkeit von Tutori auf diese Zeit zurückgeht, doch zugleich frage ich mich, ob sie überhaupt widerlegt worden ist? Denn sowohl ich wie auch meine Zuhörer meinten eine Übersetzung als möglichst genaue Wiedergabe des Originals. Wir konnten uns einen ebenbürtigen künstlerischen Geist, der mit dem wortgewaltigen serbischen Schriftsteller seine Kräfte messen würde, einfach nicht vorstellen. Doch Brigitte Döbert gehört zu jenen herausragenden Übersetzerinnen und Übersetzern, die einerseits die Regeln der Übersetzungskunst vollständig beherrschen, aber auch beherzt eine Neuschöpfung wagen. So hat Stanislav Vinaver seinerzeit Rabelais ins Serbische übersetzt. Solche Ausnahmeübersetzer zeichnet künstlerische Freiheit aus. Sie wissen genau, wann sie sich vom Original entfernen müssen, um im Sinne des Originals jene Stellen nachzudichten, die tatsächlich unübersetzbar sind, um danach zur Treue dem Ausgangstext gegenüber zurückzukehren. Und wenn sich an einer unerwarteten Stelle die Möglichkeit ergibt, das Original zu übertreffen, nutzen sie sie, womit jene Stellen, an welchen ein Wortspiel in keinem Fall möglich ist, ausgeglichen werden. Denn Klangassoziationen funktionieren meist nicht, Anspielungen müssen sich an anderen Begriffen orientieren, erfundene Namen müssen ebenso frei erfunden werden – etwa wenn bei einer Aufzählung Firmen wie Plunder-Liquidierung, Europäisches Hauwegkonsortium, Krempl Export GmbH, Herrenberger Nacktarsch oder Boulevard und Pockenschön auftauchen, wobei es sich bei dem letztgenannten Namen um eine Verballhornung des Buchtitels Bouvard und Pécuchet von Gustav Flaubert handelt.
Bora Ćosić hat mit dieser umgestülpten Bibel – Bachtin spricht von „parodia sacra“ -, mit diesem Katalog aller bekannten Begriffe eine Totalität angestrebt. Die Totalität eines Wortbesessenen, dessen Vertrauen in den Sog seiner irrwitzigen Suada genauso groß ist wie sein Vertrauen in die Leser. Denn nur ein Autor, der seine Leser hochschätzt, kann sie diesem doppelbödigen Augenzwinkern aussetzen. Nur ein Autor, der von seinen Lesern das Maximum fordert, kann seitenweise verballhornte Namen von Sparkassen oder Lebensmittelindustriebetrieben aneinanderreihen, sie mit Buch- oder Comictiteln vermengen und daraus die Landkarte einer an der Schnittstelle von Balkan und Mitteleuropa untergegangenen Welt erschaffen.
Übersetzer sind die besten Leser. Der Leseprozess eines Übersetzers, einer Übersetzerin spielt sich in einem höheren Bewusstseinszustand ab. Das Übersetzen ist die höchste Form der Lektüre. Die Übersetzerin ist die „ideale Leserin“, von der Wolfgang Iser sprach – eine erfahrene Leserin, welche imstande ist, die im Text angelegten Signale und Querverweise zu erkennen. Nach Iser ist der „implizite Leser“ ein Bestandteil des Textes, der ein Angebot darstellt. Nur der „ideale Leser“ erweckt diese potentielle Schicht eines Werks zum Leben. Die Übersetzerinnen und Übersetzer sind dazu prädestiniert, die Vollständigkeit eines Textes zu verwirklichen. Sie wird durch das Prisma einer anderen Sprache erreicht. Aus derartigen Verflechtungen entsteht Weltliteratur.
Brigitte Döbert: Rede anlässlich der Preisverleihung in Straelen
Sehr geehrte Frau Dr. Sinnreich, sehr geehrte Frau Dr. Bremer, sehr geehrter Herr Sprick und Herr Dormagen, verehrte Anwesende, liebe Familienmitglieder und Freunde und Freundinnen!
Ein kinderloser Pope fühlt sich in der fiktiven slawonischen Kleinstadt Grunt intellektuell unterfordert und verfasst 1828, angeregt vom zehn Jahre zuvor in erster Auflage erschienenen serbisch-lateinisch-deutschen Wörterbuch des Vuk Stefanović Karadžić, seine eigenen, sehr eigenwilligen Begriffsbestimmungen.
Einhundertfünfundvierzig Jahre später wird ein Autor den Autokraten in der Regierung zu aufmüpfig und erfolgreich und landet im Niemandsland des Ausgestoßenen, geht stunden-, tage-, wochen-, monate-, jahrelang durch Belgrad spazieren, vertieft sich in den Nachlass mehrerer Vorfahren und die absurdesten Fundstücke aus dem Antiquariat seines Vertrauens, ackert eine der vielen vielen späteren Auflagen des serbisch-lateinisch-deutschen Standardwerks von Vuk Stefanović Karadžić von A bis Sch durch, erleidet einen Geistesblitz, fängt an, seinem Ururgroßvater ein Wörterbuch in die Feder zu diktieren und stellt damit und mit den sich allmählich formierenden weiteren Kapiteln eines neuen Romans ganz allgemein die Bevormundung auf den Kopf, die Bevormundung durch all jene, die sich ungefragt als Tutoren gerieren, trifft eines schönen Tages, natürlich beim Spaziergehen, seinen früheren Verleger, der das Husarenstück 1978 veröffentlicht.
Noch einmal zehn Jahre später lebt eine deutsche Philosophiestudentin in Jugoslawien überwiegend von Honoraren, die ihr eine Philosophiezeitschrift in Zagreb für die Übersetzung philosophischer Aufsätze zahlt, nutzt dafür aber so gut wie nie das serbisch-lateinisch-deutsche Wörterbuch eines gewissen Vuk K., das ihr der Freund, wegen dem sie Serbokroatisch lernt, antiquarisch gekauft und geschenkt hat, was aber nichts hilft, weil sie sich bald danach, wenn auch nicht deshalb, von ihm trennt, zwar wegen eines gerade erst angetretenen Stipendiums des Deutschen Akademischen Austauschdienstes noch ein ganzes Jahr in Belgrad bleibt, aber dann an der Mainzer Uni fertig studiert und ihre zuletzt sehr flüssig daherkommenden Sprachkenntnisse fast vollständig vergisst, während der Halbleinen-Karadžić im Regal einstaubt.
Die drei mit diesen Ereignissen angesponnenen Fäden wirkten anfangs nicht sehr belastbar, und doch ist der Stoff, den wir hier und heute feiern, daraus gewebt. Sie hätten leicht reißen können, die drei Fäden, jeder einzelne hätte reißen können, aber es ist keiner gerissen, ein jeder hat es zu etwas gebracht, aus jedem ist was geworden, aus der Keimzelle des Romans ein Roman, aus dem jugoslawischen Autor ein weltläufiger Schriftsteller, aus der Philosophiestudentin eine versierte Übersetzerin, und als die drei Fäden zusammenkamen, wurden sie – Tutoren.
Dass sie zusammenkamen, ist schon erstaunlich. Denn der Pope hat in Wahrheit kein Wörterbuch geschrieben, der Autor hätte gar nicht schreiben gedurft, und die Übersetzerin hatte nie vor, aus dem Übersetzen ihren Broterwerb zu machen. Es bot sich in einer bestimmten Lebensphase an, Bücher zu übersetzen, und dann blieb es dabei. Es blieb dabei, viel später erst wurde mir klar: Ich bleibe dabei. Literaturübersetzerin zu sein war eine sehr spät bewusst angenommene Entscheidung, war keine bewusst getroffene Entscheidung, und es ist wahrscheinlich gerade deswegen eine gute Entscheidung, eine Entscheidung, der lange etwas Vorläufiges anhaftete, die ich für revidierbar hielt, aber nie revidiert habe, weil sie sich, und letztlich sogar finanziell, als tragfähige, mir entsprechende Entscheidung erwies. Erleichtert hat mir die Entscheidung, dass dank der Rührigkeit des VdÜ, durch Initiativen wie die Weltlesebühne und andere öffentlichkeitswirksame Formate in puncto Selbstverständnis und Arbeitsbedingungen von Literaturübersetzern viel in Bewegung gerät.
Daran haben die in den letzten zwanzig Jahren gestifteten Übersetzerpreise, allen voran beide Übersetzerpreise der Kunststiftung NRW, erheblichen Anteil, sie machen nicht nur Übersetzer glücklich, sie sind im buchstäblichen wie im übertragenen Sinn eine Wertschätzung unserer Arbeit, die diese massiv aufwertet. Ich möchte der Kunststiftung NRW mit großem Nachdruck dafür danken, dass sie auf diese Weise Aufmerksamkeit für eine Tätigkeit in den Kulissen des Kulturbetriebs schafft. Danken dafür, dass sie mir persönlich einen strahlenden Höhepunkt meiner Laufbahn beschert und dem Berufsstand insgesamt Auftrieb gibt.
In den Tutoren ist es die nächste Generation, die nach hundert Seiten Wörterbuchnovelle der Geschichte Auftrieb gibt, die mit Bauernregeln und Reimen klappernd und knarrend Fahrt aufnimmt, sich keuchend und stampfend zu Dampflokhöchstgeschwindigkeit steigert, atemlos als Comic-Rakete und Straßenbahnlinie 2 durchs zwanzigste Jahrhundert schießt und klingelt, bis schließlich 1977 mit dem juristisch verdreckselten Schreibverbot die Klappe fällt, denn dass der 1828 kinderlose Pope doch noch drei Söhne kriegt, erfahren wir von Katharina, die mit einem der drei verheiratet ist und uns erzählt, dass dem alten Theodor rennendes Grünzeug und redende Vergissmeinnicht erscheinen und er im Wahnsinn durch die Küche kriecht, und da fühlt sich die Übersetzerin ein wenig angesprochen, denn auch sie kriecht, ja, robbt, und mitunter durchaus am Rande des Wahnsinns laborierend, durch den Originaltext, Literaturübersetzer sind ja die langsamsten Leser der Welt, keiner liest langsamer, stockender, stutzender, frustrierter, angespannter, lauernder als sie, und wahrscheinlich halten wir nur deshalb durch, weil wenig so intensiv ist, wie wenn wir eine richtig harte Nuss knacken, eine funktionierende Lösung, ein passendes Wort finden, wenn der Groschen fällt, wir Bezüge sehen und nach längerem Grübeln eine Vorstellung entwickeln, wie die sich im Deutschen elegant und unauffällig herstellen lassen.
Für mich wenigstens ist das neben dem Erwerb von Subsistenzmitteln der eigentliche Lohn, dieser Jubel, der in mir aufsteigt, wenn mir eine Formulierung gelingt, eine Konstruktion imponiert, mehrschichtige Anspielungen einfallen; oder dieses tastende Probieren – so vielleicht?, oder besser so?, nein, so!, aber nicht doch, lieber so, ach was, noch mal ganz anders, ja so! –, wenn das in Gewissheit umschlägt, das ist einfach schön, oder das Kichern, wenn mir ein Scherz, ein Wortspiel, ein Husarenstück glückt, wenn mir, den Schalk im Nacken, die Pferde durchgehen und ich drauflos fabuliere und dadurch in einen Sog gerate, in dem ich nicht mehr suche und taste, sondern schreibe und schreibe und Strecke mache und in einem zweiten Durchgang ohne die geringste Wehmut das meiste wieder zurücknehme und zusammenstutze, weil das, was übrigbleibt, sitzt, weil es ohne den Parforceritt nicht zu haben gewesen wäre, weil ich über das Ziel hinausschießen, es mir von der anderen Seite ansehen muss, damit ich die richtigen Worte dafür finde. Und das, was bleibt, bleibt. Das ist berauschend, das bläst die Einsamkeit vor dem Rechner fort und verleiht den Kämpfen mit verkrampften Muskeln und Hirnwindungen, streikenden Augen, schmerzenden Handgelenken und vom Tippen überempfindlichen Fingerkuppen Sinn. Auch wenn ich diesen Jubel selten mit anderen teilen kann.
Diesmal ist das anders. Es ist ein herrliches Gefühl, wahrgenommen zu werden, die eigene Arbeit gewürdigt zu sehen, sie geschätzt zu wissen, dafür geehrt zu werden, gefeiert zu werden, mit Ihnen und euch allen feiern zu dürfen, und ich danke allen, die das Ihre dazu beigetragen haben, ich danke allen voran Blanka Stipetić, ohne deren sprachlichen und seelischen Beistand ich dieses Mammutwerk nicht durchgehalten hätte, ich danke Dr. Sabine Baumann, ohne deren Zuspruch und wunderbares Lektorat ich aufgeschmissen gewesen wäre, ich danke dem Verleger Klaus Schöffling, ohne dessen Hartnäckigkeit und Leidenschaft es niemals zu dieser Übersetzung gekommen wäre, ich danke dem Autor, von dem ich mir noch viele weitere kopfzerbrechende Bücher erhoffe, ich danke meiner Familie, die sich fast vollzählig auf die Socken gemacht hat, um heute Abend dabei zu sein, meiner Mutter vor allem, ohne die ich hier ja nicht stünde, und es gäbe noch sehr viele Menschen und Institutionen – die Jury mit allen Mitgliedern, der Deutsche Literaturfonds, Dr. Regina Peeters vom EÜK, überhaupt dieses Haus, dem ich vom Anfang meiner Selbstständigkeit an viel verdanke –, und ich würde am liebsten alle nennen, zum Glück wissen alle, warum das nicht geht, darum ein letztes Mal: Ich danke allen von Herzen. Herzlichen Dank.