Dankesrede zum Celan-Preis

(Hier folgt die ungekürzte Dankesrede von Eveline Passet anlässlich der Verleihung des Paul-Celan-Preises 2020, angekündigt in Übersetzen 01/2021)

Ich danke dem Lyriker Wassili Betaki und der Übersetzerin Alfreda Aucouturier, die in mir den Keim zum literarischen Übersetzen gelegt haben, der eine durch sein nahezu fanatisches Pochen auf die rhythmisch-klangliche Gestalt von Texten – ich höre ihn noch heute eine Passage aus Gogols Die Abende auf dem Vorwerk bei Dikanka rezitieren:

Чуден Днепр при тихой погоде, когда вольно и плавно мчит сквозь леса и горы полные воды свои … (Tschúden Dnépr pri tíchoj pogóde, kogdá wólno i pláwno mschít skwos lesá i góry pólnyje wódy swói …).

Die andere durch ihr – wenn auch laut vor uns Studierenden, so doch gleichsam in Zweisamkeit mit dem Text praktiziertes – Dem-Wort-Hinterherschmecken, seinem Bedeutungsumfang, seiner Etymologie, seiner Stellung im Satz, seinem Klang natürlich auch, seinen möglichen Synonymen, den Assoziationen, die es in der Ausgangs- oder in der Zielsprache aufrufen mag.

Ich danke dem Autor Raimund Petschner, meinem Freund und Begleiter durchs Leben, für die Anregung, mir ein Werk zu suchen, einige Seiten zu übertragen und an Verlage zu schicken, um so möglicherweise den Einstieg in den Beruf zu finden. Seither gibt es keine Übersetzung, die meinen Schreibtisch verläßt, ohne daß er sie kritisch gelesen und kommentiert hätte.

Ich danke den Übersetzern Elmar Tophoven und Klaus Birkenhauer für ihr leidenschaftliches Engagement zur Gründung des Europäischen Übersetzerkollegiums in Straelen – das später europaweit Nachahmer finden sollte –, wo ich dank der Begegnung mit Kolleginnen und Kollegen eine Art Crashkurs der Literaturübersetzung absolvierte.

In diesem Kontext geht ein weiterer und besonderer Dank an Josef Winiger, der die deutsch-französische Übersetzerwerkstatt – Matrix jener heute für viele Sprachen existierenden Vice-Versa-Werkstätten – initiiert hat und viele Jahre mit bereichernder Fachkenntnis und psychologischem Fingerspitzengefühl leitete, und der vor genau einer Woche, am 30.9., anläßlich des 1600sten Todestags von Hieronymus, dem Bibelübersetzer und unserem Schutzpatron, unweit von Berlin, in Beeskow, unter einem Bildnis des Heiligen ein leidenschaftliches Plädoyer für den „Furor interpretandi“ hielt, das Übersetzen ohne Auftraggeber und ökonomische Absicherung.

Ein Dank, der sofort den nächsten nach sich zieht und ebenso mit dem Europäischen Übersetzerkollegium assoziiert ist: Er gilt Ursula Brackmann, meines Wissens die einzige Nichtübersetzende, die je – und dies über einen langen Zeitraum – Mitglied im Vorstand unseres Verbandes war und sich mit gleichermaßen gewerkschaftlichem wie menschlichem Furor für die Verbesserung unserer verheerenden wirtschaftlichen Lage einsetzte und uns auch einzeln mahnte, für solche – mir seinerzeit fernliegende – Dinge wie etwa die Altersabsicherung zu sorgen.

Auch dieser Dank muß wiederum unbedingt erweitert werden: auf alle Kolleginnen und Kollegen, die sich – einander den Staffelstab weitergebend – seit Jahrzehnten für unsere Belange engagieren, ob im VdÜ, im Freundeskreis zur Förderung literarischer und wissenschaftlicher Übersetzungen oder der Weltlesebühne oder im Deutschen Übersetzerfonds, dessen Initiatorin Rosemarie Tietze hier hörbar bedankt werden muß: Wo stünden wir heute, ohne den DÜF mit seinen Stipendien, Werkstätten, europäischen Vernetzungen und seiner Strahlkraft in die Politik hinein?! Wo stünde ich?!

Ich möchte unbedingt auch den Kollegen – männlich, weiblich, divers – danken, die mir den Rücken gestärkt haben, wenn Grobschlächtigkeiten von Verlagsseite drohten, aus gewinnbringender Selbstkritik zerstörerische Selbstzweifel zu machen. Ich nenne hier keine Namen: An wen ich denke, der weiß es.

Doch ebenso möchte ich den Lektoren und Lektorinnen danken, die uns als Urherber der deutschen Fassung respektieren – und nicht nur respektieren, sondern als solche auch in die Pflicht nehmen. Eine möchte ich namentlich nennen: Bärbel Flad, seit 25 Jahren meine Gesprächspartnerin in Sachen Daniel Pennac und im übrigen viele Jahre lang eine talentierte Vermittlerin von Verlagsblickweisen an unsere Adresse und von Übersetzerblickweisen an die Adresse der Verlage.

Ich danke den Mitgliedern des Russisch- und des Französischstammtischs hier in Berlin wie allen Teilnehmern diverser Werkstätten für die lebhaften, solidarischen, manchmal hitzigen, immer lehrreichen Diskussionen über unsere Texte – noch eine weitere von unserer Zunft aus der Taufe gehobene formation continue, die es erlaubt, die eigenen Standpunkte zu hinterfragen und weiterzuentwickeln.

Ich danke den zahlreichen französischen wie russischen Kollegen und Kolleginnen, die Stunden – manche, wenn man es zusammenrechnete, Tage – darauf verwendet haben, mir Einzelfragen zu beantworten, und immer wieder erklären, daß sie auch künftig dazu bereit seien. Ich würde gern sämtliche Namen nennen, doch die Liste wäre für die mir hier zugestandenen und ohnehin bereits überschrittenen fünf Minuten gar zu lang.

Ich danke allen, wirklich allen Schreibenden – ob Schriftstellerin, Übersetzer, Journalistin oder befreundeter Briefeschreiber –, aber auch den mündlichen Sprachwerkern für die Anregungen, die ich unentwegt aus ihrem Versuch beziehe, Erfahrung in Sprache zu fassen, Leben in Worte zu übersetzen.

Ich danke allen Fachleuten, egal welcher Disziplin, für ihre Forschungen, die mich in meinem Nachdenken über Sprache oder bei meinen Recherchen voranbringen, aus deren Publikationen ich gerade jetzt bei der Arbeit an Prischwins Tagebüchern ein immenses Hintergrundwissen und Material für das Abfassen der Kommentare beziehe.

Ich danke Sebastian Guggolz – und kann ihm nicht genug danken – für seinen leisen Verlegerfuror, mit dem er neben den Brachialströmungen des Betriebs ruhig und gelassen Bücher macht und dabei die Verrücktheit beging, ohne jedwedes finanzielle Netz dieses Tagebuch-Projekt mit mir in Angriff zu nehmen.

Ich danke sehr den russischen Herausgeberinnen der Dnevniki, Lilija Rjasanowa und Jana Grischina, daß sie mich warmherzig in den Duninoer Kreis der Prischwinfurorbeseelten aufgenommen haben, Jana Grischina darüber hinaus – sowie meinen Kolleginnen Tatjana Baskakowa und Viktoriya Stukalenko – für ihr geduldiges Bemühen, dunkle Passagen aufzukären.

Ich danke den Zuger Übersetzern, die mir 2017 mit ihrer Auszeichnung nicht nur bis heute ein ruhiges Arbeiten ermöglicht, sondern darüber hinaus uns beide, den Verleger und mich, nachhaltig ermutigt haben, noch immer ermutigen. Ich möchte dem Zuger Verein aus Nichtübersetzern – und vorzugsweise dessen Initiator Jürg Scheuzger – zudem allgemeiner danken dafür, daß mit dieser Auszeichnung speziell noch nicht realisierte Projekte gefördert und so Übersetzer in die Lage versetzt werden, dem Furor interpretandi zu frönen – und dies gegebenenfalls nicht nur als Texttransponierende, sondern auch als Herausgeber und Kommentatoren. Ich wünsche mir Nachahmerinstitutionen.

Ich danke – nun, am Ende all meines Danks – dem Deutschen Literaturfonds, daß er den Paul-Celan-Preis aufgelegt hat, der mit zur größeren Wahrnehmung des literarischen Übersetzens als einer Ars interpretandi, einem Doppelspiel von Kunst und Handwerk, beiträgt – was wiederum, hoffentlich, die Öffentlichkeit weiter dafür sensibilisiert, daß wir die Auseinandersetzung mit dem Fremden, der anderen Weltwahrnehmung, dem anderen Fühlen und Denken brauchen, nicht nur um dieses Andere zu verstehen, sondern auch uns. Was mich persönlich betrifft, so möchte ich dem Literaturfonds dafür danken, daß dieser Preis mir auf jetzt noch längere Perspektive – die ich ja angesichts der vier Bände umfassenden Auswahl aus Michail Prischwins Tagebüchern brauche – ein Arbeiten frei von ökonomischen Zwängen und also Zeitnotgetriebenheit erlaubt.

Dieser Dank geht, versteht sich, nicht zuletzt an die Jurymitglieder Karin Betz, Ursula Gräfe, Gabriele Leupold, Miriam Mandelkow und Ulrich Sonnenberg.

Und ich danke Ulrich Schmid für seine sehr schöne Laudatio.