(Hier folgen die ungekürzte Fassung der Laudatio, die in Übersetzen Heft 2/2022 in gekürzter Fassung abgedruckt ist, sowie die ebenfalls ungekürzte Dankesrede der Preisträgerin)
Günther Frauenlob
München 29. 6. 2022
Liebe Maike, lieber Freundeskreis, liebe Anwesende
Als ich von Ebba erfahren habe, dass du den diesjährigen Rebekka-Preis erhalten sollst, habe ich mich von ganzem Herzen gefreut. Du hast mehr als 300 Bücher übersetzt, von Bilderbüchern über Jugendbücher, historische Romane, Krimis bis hin zu Sachbüchern. Die Bandbreite deiner Arbeiten könnte kaum größer sein, und ich denke, Vielen ist gar nicht bewusst, wie groß der Spagat von Findus im Hühnerstall bis zu Thomas von Boueberge oder von Bulle in der Osloer Kanalisation bis zu den schamlosen Mädchen ist.
Faszinierend an deiner Arbeit ist aber vor allem, dass du dich Findus und Wicky mit derselben Begeisterung und Akribie widmest wie den Büchern von Preisträgern wie Mats Wahl oder Selma Lagerlöf.
Aber lass uns in der Zeit etwas zurückgehen. Uns beide verbindet, dass wir beinahe zeitgleich in der Übersetzerszene aufgetaucht sind – das war vor inzwischen über 30 Jahren – und uns seither nicht aus den Augen verloren haben. Ich erinnere mich noch gut daran, wie wir in Lysebu am Tisch der alten, etablierten Übersetzerdamen saßen und uns still fragten, was wir hier eigentlich verloren haben. Seither sind viele Bücher übersetzt worden. Geblieben ist bei dir aber das ungläubige Staunen und die Faszination für diese Arbeit. Und das Gefühl, dass das irgendwie „passiert“ ist und man es eigentlich gar nicht verdient hat. Dass man immernoch neu ist und jederzeit wieder an den Punkt kommen könnte, wo man händeringend neue Projekte sucht.
Aber Maike, ich kann dir versichern, du hast es verdient und das gerade weil du nie die Bodenhaftung und die Bescheidenheit verloren hast.
30 Jahre sind eine lange Zeit und, was Zeit ist, hast du einmal sehr schön beschrieben:
Was ist Zeit? Abgerissene Blätter eines Kalenders. Durchgestrichene, abgelaufene Daten. Alte, vergilbte Zeitungsseiten mit den Nachrichten von gestern. Zeit ist etwas Vergangenes. Und etwas, in dem wir uns mittendrin befinden. Zeit sind all die kleinen und großen Augenblicke, die in unerbittlicher Chronologie oder chaotischer Symmetrie sich zu Ketten halbvergessener Erinnerungen aneinanderreihen. Die Summe all dieser Augenblicke nennen wir – in Ermangelung von Worten, die den zerbrechlichen, dünnen, roten Faden, der sich von der Geburt bis zum Tod zieht, wirklich charakterisieren – Leben. (Aus der 13. Jünger von Tom Egeland)
Das Leben einer Übersetzerin (und eines Übersetzers) und speziell dieser Übersetzerin dort ist geprägt von Zeitdruck und erzwungener Flexibilität. Manchmal hastest du von einem Pferderücken in die Osloer Kanalisation, gehst mit Bran auf die Reise an den Sturmrand oder stiftest unschuldige, norwegische Autoren an, ein Buch zu schreiben, nur weil dir auf einem Klo in Gotland an der Wand der Spruch aufgefallen ist: „Der Sommer war echt super: doof nur, dass unsere Papas schwul geworden sind.
Endre Lund Eriksen hat daraus dann das wunderbare Buch gemacht: Der Sommer, in dem alle durchdrehten …
Trotz all des Zeitdrucks bist du dann aber auch immer bereit, Außenlektorate anzunehmen, wenn es mal irgendwo brennt und mir bei meinen zugegebener Maßen meistens recht heftigen Krimiübersetzungen zur Seite zu springen, wenn wieder mal Abgabetermine nach vorne verlegt oder Lieblingsautoren zu spät abgegeben haben. Den Gipfel machte da sicher der Nagel in der Wand einer Hütte in Afrika, an dem Harry Hole sich das Kiefergelenk zertrümmert, um den Leopoldsapfel aus dem Mund zu bekommen…. Und so weiter und so fort. Übrigens: Wer eine Aufklärung für all die Insider in dieser Laudatio möchte, darf sich später vertrauensvoll an mich wenden…
Bei 300 Büchern ist es verdammt schwer, ein paar Kostproben zum Besten zu geben, die dein Wirken umfassend repräsentieren. Ich möchte es aber trotzdem versuchen. Anfangen möchte ich mit Findus von Sven Nordqvist, einem der absoluten Lieblinge meiner Töchter, als sie noch etwas kleiner waren…
Die Morgensonne schien auf Pettersons kleines Haus. In den Büschen und Bäumen zwitscherten die Vögel. Die Hummeln waren längst wach und summten zwischen den Blüten des Apfelbaums herum. Aus dem Hühnerstall war leises Gegacker zu hören. Und da war da noch ein Geräusch, das man normalerweise auf dem Land nicht hörte. Quiee-bong-quieee-bong-quieee-bong klang es. Und es kam aus Pettersons Haus.
Gewöhnliche Menschen schlafen um vier Uhr morgens fest. Aber in Pettersons Schlafzimmer gab es jemanden, der kein gewöhnlicher Mensch war, und das war der Kater Findus.
Findus hatte ein eigenes Bett bekommen. Ein richtiges, kleines Bett mit hervorragender Federung, auf dem man wunderbar hopsen konnte. Und das tat er mit Begeisterung. Kaum war er wach, begann er zu hopsen: Quiee-bong-quieee-bong-quiee-bong…
Maike kann aber auch ganz anders, wie wir in Schamlos von Amine Bile, Sofia Nesrine Srour und Nancy Herz lesen können:
Liebe Schwester
Die ermahnt wird, still zu sein und nicht zu viel Platz einzunehmen
Die ihre Freunde nicht selber wählen darf oder ihre Ausbildung oder Arbeit
Die niemals mündig wird oder über ihr eigenes Leben bestimmen darf
Der eingeredet wird, dass Liebe Sünde ist
Die ein Doppelleben in Angst und schlechtem Gewissen führt
Die beschimpft wird, weil sie Hidschab trägt oder nicht trägt oder weil sie ihn ablegt
Die sich als Einwandererschlampe und Asylantin beschimpfen lassen muss, schamlos und ungläubig
Der eingeredet wird, Rassismus und soziale Kontrolle wären kein Problem
Die die Ehre der Familie auf ihren Schultern trägt
Die nicht selbst über ihren Körper bestimmen darf
Die Übergriffe erlebt hat und sich anhören musste, das wäre ihre Schuld
Die damit leben muss, dass ihr Wert über das Jungfernhäutchen definiert wird.
Liebe Schwester, die nicht frei sein darf.
Dieses Buch ist für dich.
So, und damit allen klar wird, wie groß so ein Übersetzerspagat sein kann, gehen wir jetzt mit Bulle und Dr. Proktor und Jo Nesbø an den Ort, den ich schon zweimal in dieser Laudatio genannt habe – in die Osloer Kanalisation:
Es ist Nacht in Oslo, Regen fällt auf die stille, schlafende Stadt. Aber schläft sie wirklich fest? Einer der Regentropfen fällt auf die Turmuhr des Osloer Rathauses, klammert sich einen Moment lang an die äußerste Spitze des langen Zeigers, ehe er den Halt verliert und zwanzig Etagen nach unten stürzt. Mit einem weichen Klatschen schlägt er auf dem Asphalt auf und beginnt vereint mit anderen Tropfen seine Reise entlang der Straßenbahnschienen. Wären wir diesem Tropfen bis zum nächsten Kanaldeckel durch die Osloer Nacht gefolgt, hätten wir möglicherweise das leise Geräusch wahrgenommen, dass von unten durch die Stille drang. Es würde lauter werden, ließen wir uns mit dem Tropfen durch die Löcher des Gullideckels in die Osloer Kanalisation fallen, in der es stockfinster war. Gemeinsam mit unserem Tropfen wären wir in dem dreckigen Abwasser durch die Rohre gerauscht, die mal klein und eng waren, mal so groß, dass man aufrecht darin stehen kann. Das Netz dieser Rohre verläuft kreuz und quer und tief unter der Erdoberfläche dieser ziemlich bescheidenen, kleinen Großstadt, der Hauptstadt des Landes Norwegen. Und je tiefer uns dieses Darmgeflecht in die Eingeweide Oslos führt, desto lauter wird das Geräusch.
Es ist kein angenehmes Geräusch, denn es klingt, wie wenn man beim Zahnarzt ist.
Das Kreischen eines Bohrers, der sich durch den Zahnschmelz frisst, durch Zahnfleisch und empfindliche Nerven fräst, manchmal tief brummend, dann wieder hoch und schrill, je nachdem, auf was der diamantharte, rotierende Bohrkopf trifft.
Aber okay, wenigstens ist es nicht das Zischeln einer meterlangen Anakondazunge, das Knirschen tonnenschwerer Würgemuskeln oder das ohrenbetäubende Krachen eines rettungsringgroßen Kiefers, der sich um sein Opfer schlägt. Ich erwähne das nur, weil noch immer Gerüchte kursieren, dass es hier unten eine solche Riesenschlange geben soll und weil da hinten links ein paar leuchtend gelbe Schlangenaugen durch das Dunkel funkeln. Wenn du es also bereits bereust, mit uns gegangen zu sein, hast du jetzt die Chance, das Weite zu suchen. Klapp das Buch leise zu, schleich dich aus dem Zimmer oder kriech unter die Decke, und vergiss, was du jemals über die Kanalisation von Oslo gehört hast, über das Zahnarztbohrergeräusch und über die Schlangen, die sich von riesigen Wasserratten ernähren, mittelgroßen Kindern und manchmal auch kleinen Erwachsenen – vorausgesetzt sie haben nicht zu viele Haare oder tragen einen Bart.
Dann leb wohl und mach‘s gut. Und mach die Tür hinter dir zu.
Maike, das hast du gut gemacht und ich glaube, wir alle wünschen uns noch viele schöne Bücher von dir!
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Dankesrede anlässlich der Verleihung der Rebekka 2022
Maike Dörries
München, 29. Juni 2022
Diejenigen der hier Anwesenden, die mich schon länger kennen, wissen um mein entsetzliches Lampenfieber, wenn es darum geht, öffentlich und vor Publikum eine Rede zu halten …
Und bei der gedanklichen Vorbereitung meiner Dankesrede fiel mir prompt ein über zwanzig Jahre alter Traum wieder ein:
Ich stehe hinter irgendwelchen Theaterkulissen.
Ein Mann kommt auf mich zu und drückt mir ein Kostüm in die Hand, sagt: „Können wir uns auf dich verlassen? Kannst du deinen Text?“
Mit Schweißperlen auf der Stirn sage ich meinen schicksalsschweren Satz: „Die Laubkrone im Haar schreite ich zum Schafott.“
Der Mann verschwindet, dummerweise bevor ich ihn fragen kann, welches Stück eigentlich gespielt wird und wann mein Einsatz ist …
Spätestens mit dem Ankommen in der Bibliothek hat sich der Schafott-Gedanke verflüchtigt, die Laubkrone wird ein mittsommerlicher Blumenkranz, und das moderate Lampenfieber kann mich nicht mehr davon abhalten, hier ein paar Dankeschöns loszuwerden.
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Liebes Literaturhaus-Team und
liebes Münchner Übersetzer-Forum:
Danke für diese wunderbaren Räumlichkeiten im Literaturhaus für diesen Abend, wo ich vor mehr als dreißig Jahren ehrfürchtig meinen allerersten von Wolfgang Butt geleiteten Übersetzungsworkshop besucht habe.
Und liebe Münchner Kolleg*innen, Dank euch für die herzliche Aufnahme und die Bereitschaft, euren Verbandsabend für die verschobene Verleihung freizugeben.
Als entschieden war, dass wir bei und mit euch feiern dürfen, ist meine Enttäuschung über die ausgefallene Leipzigmesse augenblicklich verpufft ????.
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Und nun also zu euch,
liebe Freundeskreis-Vertreterinnen Karen & Ebba &
liebe Rebekka-Juror*innen Regine, Cornelia & Hannes (in Abwesenheit)
Einen herzlichen Dank euch allen (auch hinter den Kulissen) für diese in ihr zweites Jahr gekommene Auszeichnung für „langjähriges, kenntnisreiches, begeistertes und beharrliches Übersetzen“. Gestiftet von Kolleginnen, die den Alltag der Literaturübersetzung aus eigener Erfahrung gut kennen.
(Cornelia, erste Preisträgerin, ich fühle mich sehr geehrt, in deine Fußstapfen zu treten!)
Dazu bescheinigt mir der Freundeskreis dann noch Produktivität, Kreativität und Vielseitigkeit.
So viel Lob muss eine ostfriesische Deern wie ich erstmal verarbeiten – aber vor allen Dingen ist es einfach nur schön, so gewürdigt zu werden.
Und ich muss eingestehen: Ein bisschen stolz bin ich schon auch.
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Vor einem Jahr sind wir umgezogen – von Mannheim nach Dreieichenhain, einem Fachwerkdörfchen südlich von Frankfurt.
In ein verwunschenes, verwinkeltes Fachwerkhaus.
Und da habe ich sie am eigenen Leib zu spüren bekommen, die mir bescheinigte Produktivität und Beharrlichkeit.
In Form Dutzender schwerer Bücherkisten – die meisten mit Beleg- und Archivexemplaren aus dreiunddreißig Jahren Arbeit – die transportiert und verteilt werden wollten.
Der Fleiß hat seinen Preis, könnte man sagen.
Ich habe oben von „Arbeit“ gesprochen, und wir Altgermanisten wissen ja, dass „arebeit“ Mühe, Not und Plage heißt.
Aber so habe ich meine Arbeit glücklicherweise nie empfunden, sondern immer als etwas, das ich machen darf, nie als Zwang oder lästige Pflicht.
Und dabei komme ich mir manchmal ein bisschen vor wie spinnende Müllerstochter im Märchen vom Rumpelstilzchen.
Insider wissen, WAS die Müllerstochter aus dem Stroh spinnt …
Und dass es nicht immer einfach ist, verwertbares Garn hervorzubringen.
Genau das aber ist die Herausforderung, die ich so an diesem Beruf liebe, den ich auch nach über dreißig Jahren jederzeit wieder ergreifen würde.
Diesen Beruf, der mir so viele unterschiedliche Geschichten, breitgefächerte Einblicke in alle nur denkbaren Bereiche des Lebens, und eine kunterbunte Mischung an Autor*innen und Buchmenschen beschert.
Aber vor allen Dingen diesen unglaublich liebenswerten Haufen kenntnisreicher und begeisterter, beharrlicher und produktiver, kreativer und vielseitiger Übersetzer*innen, die mit ihrer Arbeit sprachliche Fenster und Türen für den Blick in die weite Welt öffnen.
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Aufgespart bis zum Schluss, gilt mein ganz besonderer Dank natürlich meinem Laudator, also dir, Günther, für dein ganz persönliches „Frauenlob“ an mich heute Abend!
Verlässlicher Übersetzungspartner seit fast drei Jahrzehnten, vertrauter Freund im wahren Leben wie in der Wörterwelt, unermüdlicher Sparringpartner und unterstützende Spürnase auf der Suche nach vergrabenen Buch- und Worttrüffeln.
Ohne unser gemeinsames Übersetzen befände ich mich jetzt vermutlich an einer ganz anderen Stelle im Übersetzer-Universum.
Was ich außerordentlich bedauerlich fände!
DANKE!!!