Unter die Ruderer gegangen Rowohlt-Preise 2021 und 2022

(Hier folgen die ungekürzten Fassungen der uns vorliegenden Laudationes, die in Übersetzen Heft 01/2023 in gekürzter Fassung abgedruckt sind)

 

Dr. Martina Klüver, Luchterhand Literaturverlag

Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis

Laudatio für Eva Bonné

 

Sehr verehrte Damen und Herren, liebe Eva,

von einem der meistübersetzten Autoren unserer Zeit – sein Werk ist in über 40 Sprachen zu lesen –, von Paul Auster also stammt dieser Satz: »Translators are the shadow heroes of literature – Übersetzerinnen und Übersetzer sind die Schattenhelden der Literatur.« Wie wahr das ist!  Ja, Übersetzerinnen und Übersetzer stehen meist nicht im Rampenlicht. Ja, ihre Arbeit wird – hier und anderswo – immer noch viel zu wenig gewürdigt, ihre Namen werden viel zu selten bei Rezensionen erwähnt. Und ja – zugleich sind sie Helden. Unendlich wichtig für uns alle. Als Brückenbauer, Botschafter, Vermittler von Literatur. Ohne sie könnten Romane, Stories, Gedichte nicht Grenzen überschreiten. Ohne die Übersetzerinnen und Übersetzer wären die Buchhandlungen leerer – und wir alle an Geschichten ärmer.

Eva Bonné ist eine der herausragenden Übersetzerinnen, die wir in Deutschland haben. Seit vielen Jahren übersetzt sie, auch für den Luchterhand Literaturverlag, seit mehr als einem Jahrzehnt arbeiten wir beide zusammen. Ich freue mich von ganzem Herzen, dass sie heute mit dem Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis 2022 ausgezeichnet wird.

Ehrlich gesagt ist es – rückblickend – ein glücklicher Zufall, der Eva Bonné hierherführt hat. Sie, die Amerikanistin, studierte in Hamburg und Berkeley. Zwei Orte, an denen man es nun wirklich ganz gut aushält. Und sie studierte in Lissabon.  Lusitanistik. Damals, als sie für ein Jahr in dieser wunderschönen Stadt lebte, gab es – wie man sich denken kann – auch vieles, was für das Portugiesische sprach. Doch dann kam das erste Übersetzungsangebot – und das war just aus dem Englischen.

Seit 20 Jahren verleiht Eva Bonné nun schon englischsprachigen Autorinnen und Autoren eine »vorzügliche« deutsche Stimme, wie die FAZ treffend schrieb. Die Titelliste ist lang. Die Namen sind preisgekrönt. Die erzählerische Vielfalt geradezu weltumspannend: Da ist der aus Tasmanien stammende (Australier) Richard Flanagan mit seinem Roman »Der schmale Pfad durchs Hinterland«, 2013 mit dem Man Booker Prize ausgezeichnet. Da ist der US-Amerikaner mit pakistanischen Wurzeln Rumaan Alam. Sein Roman über die Doppelmoral einer weißen US-Familie »Inmitten der Nacht« war 2020 für den National Book Award nominiert. Und da ist Abdulrazak Gurnah, der tansanische Literatur-Nobelpreisträger des vergangenen Jahres. In diesen Tagen erst ist »Afterlives« erschienen, »Nachleben«, sein jüngster Roman, in der Übersetzung von Eva Bonné.

Was Eva Bonné auszeichnet, ist die Bandbreite ihres Könnens. Es ist ihre Akribie, die Genauigkeit, die Eleganz, das Einfühlungsvermögen in den Text. Es ist ihr Perfektionismus. Der Anspruch, das Beste aus einem Text herauszuholen. Es ist ihre Freundlichkeit – und ja – auch immer ihre Bescheidenheit.

Und – es ist ihre Offenheit, die Neugierde, die Lust auf Texte, die anders sind. Experimentell, »gegen den Strich gebürstet, artsy«, wie sie selbst sagt. So wie die Romane der britisch-irischen Schriftstellerin Claire-Louise Bennett. Deren neues Buch erscheint im Frühjahr bei Luchterhand. Es erzählt die Geschichte einer jungen Frau in einer Arbeiterstadt in England – in einer intensiven, fast soghaften Sprache, die Eva Bonné souverän ins Deutsche überträgt.

Eva Bonné hat keinerlei Berührungsängste. Sie wagt sich auf neues Terrain, zeigt, dass Übersetzen ein im stetigen Wandel begriffener Prozess ist: Im Team mit Marion Kraft hat sie 2021 »Sister Outsider« ins Deutsche übertragen. Die Essays von Audre Lorde, die als Kind schwarzer Einwanderer aus der Karibik 1934 in New York City geboren wurde – hinein in eine zutiefst rassistische Gesellschaft. Heute gilt Lorde als eine der wichtigen Stimmen des schwarzen Feminismus. »Dem Text unbedingt gerecht werden und zur uns bestmöglichen Übersetzung gelangen«, wie Eva Bonné sagt, war der Anspruch dieser Koproduktion, bei der es auch um die formale Gestaltung des Textes ging. »Schwarz« großgeschrieben, »weiß« kursiv. »Sprachlich visionär« nannte der Deutschlandfunk die Übertragung ins Deutsche.

Wenn man Eva Bonné danach fragt, was sie am Übersetzen besonders mag, dann bekommt man zur Antwort: Es ist wie »serielle Monogamie. Ich muss mich nie festlegen. Ich gehe durch eine wunderschöne Straße und betrete immer wieder ein neues Haus, lebe mit den Figuren für ein paar Monate.«

Die eine große Liebe gibt es nicht? Übersetzen als sich immer wieder neu verlieben? Und doch – das ist augenfällig – sind es die weiblichen Stimmen, die Eva Bonné ganz besonders begeistern. Allen voran Rachel Cusk. Für die Übersetzung der Outline-Trilogie wird Eva Bonné heute explizit ausgezeichnet. »In Stimmen erzählt und bar jeder Handlung verlangt es der Übersetzerin überragendes Feingefühl und große Wandlungsfähigkeit ab«, so die Jury.

Die kanadische, heute in Paris lebende Schriftstellerin ist eine Spezialistin für die Ausleuchtung privater Katastrophen. Ihre Bücher erzählen vom Frau- und vom Muttersein, von Ehe, Trennung, Familie, von Fremderwartungen, aber auch vom Geschichtenerzählen. Sie bestechen durch ihre gedankliche Schärfe, ihre literarische Kraft, die kompromisslos genaue Beobachtungsgabe. Sie sind autobiografisch geprägt. Sie bestehen darauf, dass Frauen ihre eigenen Geschichten auf ihre eigene Weise erzählen. So wie die großartige, nobelpreisgekrönte Annie Ernaux.

Frauen eine Stimme zu geben, einen Raum für sich, ihre Geschichten festzuhalten, ihre Sicht der Welt zu erzählen – das hat Virginia Woolf vor inzwischen fast 100 Jahren gefordert. »Überall sonst mögen wir (die Frauen) durch Gesetze und Konventionen gebunden sein«, schreibt sie, »hier haben wir keine. Wenn mit unserer Hilfe Bücher stärker würden, reicher und vielfältiger, wäre das ein erreichenswertes Ende.«

Liebe Eva, was kann es Schöneres, ja Beglückenderes geben, als mit seiner Arbeit zu diesem Reichtum, zu dieser Vielfalt beizutragen! Und so möchte ich das Schlusswort Rachel Cusk überlassen.  Sie hat die Kraft weiblichen Schreibens in bildgewaltige Worte gefasst. Im Deutschen heißt es in deiner Übersetzung: »Ich hatte das Gefühl, kilometerweit schwimmen zu können, immer aufs Meer hinaus. Der Wunsch nach Freiheit und Bewegung trieb mich an, als würde ich an einem Faden vorn an meiner Brust gezogen.«

Liebe Eva, ich gratuliere dir von ganzem Herzen zum Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis 2022.

 

****

Sebastian Guggolz, Guggolz Verlag

Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis

Laudatio für  Stefan Moster

 

Liebe Mitspeisende und -feiernde, vor allem aber lieber Stefan,

Im dritten Kapitel von Volter Kilpis »Im Saal von Alastalo«, dem alle Formate sprengenden, aber Maßstäbe setzenden modernen finnischen Großroman, befinden wir uns im Bewusstseinsstrom von Härkäniemi, einem unermüdlichen Geschichtenerzähler, den Volter Kilpi sagen lässt – hier natürlich in den Worten von Stefan Mosters Übersetzung wiedergegeben –:

»Mein Mund versteht sich durchaus auf die Delikatesse, und am Esstisch nehme ich stets Platz, wenn man es mir befiehlt. Aber es ist etwas anderes, ob man der Hase ist, der gegessen wird, oder der Esser des Hasen, oder ob ich für meinen eigenen Mund etwas zu essen richte oder den Tisch für andere richte.« (S. 71)

Zu unserem Glück richtet Stefan Moster nicht nur eine Essportion für seinen eigenen Mund, sondern deckt für uns alle den Tisch ein. Denn es wird zu etwas grundlegend anderem, wenn sich – verlassen wir nun die Ebene der Metapher – eine genussvolle Lektüre zur Übersetzung auswächst.

Das Finnische wird gemeinhin – und gemeinerweise – zu den »kleinen Sprachen« gezählt. Was kein qualitatives Urteil über die Sprache sein kann, da es nicht mehr aussagt, als dass sie von zahlenmäßig nicht allzu vielen Menschen gesprochen und verstanden wird. Wer als Übersetzer aus einer dieser kleinen Sprache tätig ist, wie Stefan Moster aus dem Finnischen, der wird schnell in die dienende Rolle des Fremdenführers gedrängt, also desjenigen, der erklärend die Exotik und die Fremdheit in seiner Vermittlung zum Verschwinden bringen soll. »Der Übersetzer als Fremdenführer« ist als Metapher leicht dahingesagt. Und das ist nur allzu verständlich: Der Übersetzer muss sich auf dem Gelände der fremden Sprache auskennen, über Einblicke in Kultur und Gepflogenheiten der Fremdsprache verfügen. Allerdings darf das der Übersetzung nicht demonstrativ anzulesen sein. Denn es ist schließlich die individuelle Gestaltungsfähigkeit der eigenen Sprache, die einen Übersetzer herausragen lässt; die Kenntnis der Winkel und verborgenen Schönheiten der eigenen Sprache; die Fähigkeit, den Reichtum und die Formen- und Farbenvielfalt der eigenen Sprache auszuschöpfen.

Und darin zählt Stefan Moster mit seiner Doppelbegabung als Übersetzer und Schriftsteller zu den Ausnahmefiguren seiner Zunft. Man schlage »Im Saal von Alastalo« an irgendeiner Stelle auf und stürze sich in die Fluten dieser ausgreifenden Sätze, die kaum zu enden scheinen. In eine Sprache, die in waghalsigen Kurven und ausufernden Details auseinanderzufallen droht, und die Stefan Moster doch immer wieder zum Ende der Sätze hin zusammenführt und manchmal gar noch in eine Pointe münden lässt. Was einen hier antönt, ist eine Sprache, die von Volter Kilpis Finnisch herstammt, die in der deutschen Übersetzung allerdings zudem Ergebnis der Ausgestaltung Stefan Mosters ist und Zeugnis ablegt über seine phänomenale sprachliche – auch subjektive – Auseinandersetzung mit dem finnischen Original.

Unter diesen Vorzeichen ist die Frage nach einem guten Übersetzer eng geknüpft an die Frage nach dessen Selbstbewusstsein. Kann der Übersetzer gleichermaßen den Anspruch des fremden Originals und den der eigenen Übersetzung aushalten? Stefan Moster kann das in jedem Fall, er tilgt nicht im vermeintlichen Dienste der potenziellen Leserschaft sämtliche Merkmale von Fremdheit aus der Übersetzung, sondern lässt, wie Walter Benjamin es als Aufgabe für eine gelungene, wahre Übersetzung ausdrückt, das finnische Original »durchscheinen« – doch gleichzeitig löst er sich auch mit Bestimmtheit aus den Fesseln des wörtlichen Originals und erlangt in der Zielsprache eine sprachliche Freiheit, die seine Übersetzungen zu einem Bestandteil der deutschen Literatur werden lassen.

Eine besondere Herausforderung bei der Übersetzung aus dem Finnischen ins Deutsche ist die Distanz zwischen den Sprachen, die bekanntlich aus gänzlich unterschiedlichen Sprachgruppen stammen. Es reicht nicht aus, die Wörter gewissenhaft zu übersetzen: Ein Sprachsystem muss ins andere hineingedacht werden. Außerdem ist das Finnische weitaus beweglicher als das Deutsche, lädt zu Neuschöpfungen, individuellen Ausdrücken und Regionalismen geradezu ein. »Kilpis Neologismen sehen aus wie Wörter, die es schon gibt«, lässt sich in einem Interview mit Stefan Moster nachlesen. Und dass er es deshalb im Deutschen »einen Hauch zugänglicher« und nicht »vorsätzlich kompliziert« machen musste. Wie die schachtelartigen, mehrstufigen Sätze Kilpis in Stefan Mosters Übersetzung fast beiläufig ins Fließen geraten, wie sie trotz ihrer Komplexität zugänglich und verständlich bleiben und Entzückungsimpulse auslösen, weil sie, nachdem sie zu schweben begonnen und die Bodenhaftung zu verlieren gedroht haben, doch wieder in sanftem Landeanflug zum Vertrauten zurückgekehrt sind – das ist ein famoses, beeindruckendes Ereignis und beschert uns Lesenden eine Erfahrung, die so nur in der Kombination Kilpi/Moster zu bekommen ist.

»Ein übersetztes Buch ist wie eine Leiche«, urteilte Thomas Bernhard 1986 in einem Filminterview in Madrid, als er gefragt wurde, ob es ihn befriedige, wenn er im Ausland in Übersetzungen gelesen werde. »Eine Leiche, die von einem Auto bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt worden ist.« Wenn sich statt eines »Autos« ein »Autor« wie Stefan Moster der Übersetzung animmt, passiert das Gegenteil: Ein bald hundet Jahre alter Roman tritt uns zur Kenntlichkeit neu belebt, ja, vielleicht sogar neu zum Leben erweckt entgegen, mit einer Kraft, die für weitere hundert Jahre ausreichen sollte.

Ich freue mich sehr, lieber Stefan, dir hier öffentlich von ganzem Herzen zum Jane-Scatcherd-Preis 2022 gratulieren zu dürfen.