(Hier folgen die ungekürzte Fassung der Laudatio, die in Übersetzen Heft 01/2023 in gekürzter Fassung abgedruckt ist, sowie die ebenfalls ungekürzte Dankesrede der Preisträgerin)
Übersetzerbarke 2022
Laudatio auf Dr. Sabine Baumann
von Marieke Heimburger, 1. Vorsitzende des VdÜ
Liebe Gäste,
liebes interessiertes Publikum,
liebe Sabine!
Du wurdest im Oktober 1966 hier in Frankfurt am Main geboren, hier bist du zur Schule gegangen, hier hast du studiert, hier hast du bis heute deinen Lebensmittelpunkt, und hier darf ich dich heute im Namen des VdÜ mit der Übersetzerbarke ehren.
Wie du weißt, wird diese mit einem Kunstwerk dotierte Ehre einmal im Jahr übersetzerfreundlichen Verlagsmenschen oder Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zuteil.
Wie wir alle wissen, gibt es in Sachen Übersetzernennung, Vertragsgestaltung und in anderen Fragen, die den Umgang mit unserem Berufsstand betreffen, im Verlagswesen und in der Presse etliche schwarze Schafe und viele graue Mäuse, aber eben auch ein paar leuchtende Beispiele. Und genau diese möchten wir besonders hervorheben, und zu genau diesen gehörst du, und ich will versuchen, den Anwesenden zu erklären, warum.
Sabine Baumann hat, wie gesagt, hier in Frankfurt Anglistik, Amerikanistik und Slawistik studiert, aber nicht nur hier am Main, sondern auch in Bloomington und in New York.
In den USA absolvierte Sabine Baumann ein Praktikum beim Verlag Farrar, Straus & Giroux, in Deutschland später ein Volontariat bei S. Fischer. Während sie an ihrer Promotion mit dem Titel Vladimir Nabokov: Haus der Erinnerung. Gnosis und Memoria in kommentierenden und autobiographischen Texten arbeitete, entschied sie sich gegen einen Job an der Uni und für eine Beschäftigung außerhalb des universitären Betriebs. So arbeitete sie vormittags im Klostermann Verlag und schrieb nachmittags an ihrer Dissertation zu Vladimir Nabokov als Übersetzer und Selbstübersetzer.
Der 1899 in St. Petersburg geborene Nabokov veröffentlichte bereits mit 17 Jahren seinen ersten Gedichtband. Kurz darauf floh er 1917 mit seiner Familie vor der Oktoberrevolution. Er studierte zunächst in London Naturwissenschaften und Literatur und stieß dann 1922 zu seiner Familie in Berlin, wo er weiter schrieb, aber auch begann, u. a. als Übersetzer englischsprachiger Literatur ins Russische zu arbeiten. 1936 zog er mit seiner jüdischen Frau und dem gemeinsamen Sohn nach Paris, 1940 emigrierte die Familie in die USA. 1961 kehrten Nabokov und seine Frau nach Europa zurück, in die Schweiz, wo Nabokov 1977 nach einem an Exilerfahrungen reichen Leben starb.
Neun seiner siebzehn vollendeten Romane erschienen auf Russisch, acht auf Englisch. Nach seiner Übersiedlung in die USA übersetzte Nabokov selbst seine auf Russisch verfassten Werke ins Englische …
Faszinierend. Derart zwischen verschiedenen Sprachräumen, konträren politischen Systemen und unterschiedlichen beruflichen Tätigkeiten zu oszillieren. Kein Wunder, dass Sabine Baumann sich für sein Werk als Übersetzer und Selbstübersetzer interessierte.
Und über ihre Arbeit an dieser Promotion wurde Sabine Baumann dann selbst zur Übersetzerin, denn als sie Kontakt aufnahm zum Nabokov-Experten Dieter E. Zimmer, arbeitete dieser an der Herausgabe eines Werkes über die Übersetzung Nabokovs – und gewann Sabine dafür, Nabokovs auf Englisch verfasste Reflexionen über die Übersetzung ins Deutsche zu übersetzen.
Nach ihrer Promotion 1998 führte Sabine Baumann das „duale Arbeitsmodell“ mit einer Vormittagstätigkeit im Verlag einige Jahre fort, nur dass sie dann nachmittags nicht mehr promovierte, sondern übersetzte (u. a. Puschkins Epos Eugen Onegin und Vladimir Nabokovs Kommentar zu diesem Werk – wofür sie 2010 den Übersetzerpreis der Kunststiftung Nordrhein-Westfalen erhielt). Dann folgten einige Jahre der hundertprozentigen Freiberuflichkeit, in denen sie Nabokovs Werke sowohl aus dem Englischen als auch aus dem Russischen übersetzte, aber auch Werke der britischen Historiker Orlando Figes und Simon Montefiore über russische Kultur. Dann bekam Sabine Baumann wieder Lust, im Verlag zu arbeiten. 2009 trat sie die Stelle als Lektorin im Schöffling Verlag in Frankfurt an, wo sie von den etwa 25 Titeln pro Jahr ca. die Hälfte betreut – deutsche wie übersetzte Werke, Lyrik wie Belletristik, schmale Bände wie dicke Wälzer.
Unwissende würden vielleicht meinen, Sabine Baumann habe die Seiten gewechselt. Aber das stimmt so nicht. Sie ist ein bisschen wie Nabokov – sie oszilliert zwischen den unterschiedlichen Rollen im Literaturbetrieb und bewegt sich in unterschiedlichen Sprachräumen. (Gott sei Dank nicht im Exil.) Sabine Baumanns Weg ähnelt übrigens dem vieler mir bekannter Lektorinnen und Übersetzerinnen: Das Studium einer oder mehrerer Fremdsprachen und/oder Germanistik und/oder Komparatistik, in den Semesterferien Verlagspraktika. Ich weiß von Studentinnen des Studiengangs Literaturübersetzen in Düsseldorf, die inzwischen angesehene Verlage leiten oder dort im Lektorat arbeiten. Und von Lektorinnen, die irgendwann nicht mehr nur die Übersetzungen anderer bearbeiten, sondern selbst Übersetzungen anfertigen wollten. Die Übergänge sind fließend, und unsere große Gemeinsamkeit sind die Liebe zur Sprache und zur Literatur, sowie der Wunsch, zu vermitteln – von einer Sprache in eine andere, von einer Kultur in eine andere, nicht selten auch von einer längst vergangenen Zeit in unsere Gegenwart.
Letzteres war auch Sabine Baumanns Motivation, sich ehrenamtlich bei Projekten wie dem Germersheimer Übersetzerlexikon „UeLEX“ (http://www.uelex.de) und dem Exilprojekt von Andreas Kelletat zu bewerben. Für UeLEX hat sie den Eintrag zum Türkisch-Übersetzer Cornelius Bischoff verfasst. Über ihre Recherchen zu diesem verstorbenen Kollegen kam Sabine Baumann dann zum 2019 gestarteten und von Prof. Dr. Andreas Kelletat geleiteten Forschungsprojekt Exil:Trans (https://exiltrans.univie.ac.at), das sich dem Leben und Werk von Übersetzer:innen widmet, die vor den Nationalsozialisten ins Exil flüchteten. Damit führte Sabine Baumann viele bereits in ihrer Promotion zentrale Themen weiter.
Es ist Sabine Baumann ein Anliegen, die Vergangenheit wertzuschätzen, und so trägt sie in ihrer Freizeit dazu bei, das Gedächtnis an frühere, verstorbene Kolleg:innen zu bewahren.
Doch auch für die lebenden, um nicht zu sagen: die quicklebendigen Übersetzer:innen tut Sabine Baumann viel. Im Ehrenamt betreut sie seit 2008 die Verbandszeitschrift Übersetzen des VdÜ, und im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit achtet sie bei Lesungen und anderen Veranstaltungen als Moderatorin stets darauf, dass die Übersetzer:innen gewürdigt werden – wenn sie nicht sogar selbst im Mittelpunkt der Veranstaltung stehen.
Zu einigen im Schöffling Verlag erscheinenden übersetzten Werken lanciert Sabine Baumann begleitende Materialien, die die Übersetzungsarbeit erläutern und kommentieren. Mal in Form eines Dossiers im Schreibheft, mal in Form von Begleitbänden, mal in Form eines Prospekts.
Nicht zuletzt wurde Sabine Baumann von der Verlagsleitung beratend herangezogen, als der VdÜ mit einigen Verlagen die Gemeinsame Vergütungsregel aushandelte. Auch ihr ist es zu verdanken, dass der Schöffling Verlag 2014 zu den Erstunterzeichnern dieser GVR gehörte.
Konfrontation ist Sabine Baumanns Sache nicht, sie möchte vermitteln und verbinden. Als sie 2009 die Stelle im Schöffling Verlag antrat, nahm sie kurz darauf an einem Seminar des Deutschen Übersetzerfonds mit dem schönen Titel „Zur Seite gesprungen“ teil. Bei diesem bis heute weiter angebotenen Seminarformat kommen sechs Lektorinnen und sechs Übersetzerinnen unter der Leitung von Jürgen Dormagen und Svenja Becker im Literarischen Colloquium Berlin zusammen und arbeiten fünf Tage lang gemeinsam an mitgebrachten Texten aus der Praxis. Eins der Ziele des Seminares ist es, Verständnis füreinander zu entwickeln für die Arbeitsrealität der Person am anderen Ende der Internetverbindung, denn oft genug kennen wir einander gar nicht persönlich und haben Schwierigkeiten, über den eigenen Tellerrand zu blicken. Aus der begeisterten Seminarteilnehmerin von 2009 ist inzwischen eine nicht minder begeisterte und begeisternde Seminarleiterin geworden. Zusammen mit Miriam Mandelkow (die übrigens ein Beispiel für eine Laufbahn von der Lektorin zur Übersetzerin ist) bietet sie das von Pro Helvetia geförderte Seminar „Über Kreuz“ im Übersetzerhaus Looren in der Schweiz an, dessen Konzept und Zielsetzung dem DÜF-Seminar am Wannsee ähneln.
Gegeneinander zu arbeiten bringt niemanden weiter, Sabine Baumann legt großen Wert auf das Miteinander und auf gemeinsame Ergebnisse. Im Schöffling Verlag ist es ihr zu ihrem großen Vergnügen möglich, intensiv mit den Übersetzer:innen an ihren Texten zu arbeiten. Manchmal – je nach Projektgröße – über mehrere Jahre, und manchmal auch nicht nur über die Kommentarfunktion in Word, wo kurze Ausrufe wie „Toll!“ oder „Super!“ oder einfach nur ein Smiley das Übersetzer:innen-herz erfreuen, und nicht nur per Telefon, sondern bei echten Arbeitstreffen, für die sie eine Reise auf sich nimmt. Das schätzen ihre Übersetzer:innen sehr. Die Zusammenarbeit am Text ist mitunter so intensiv, dass manch ein Satz am Ende nicht vom Übersetzer, der Übersetzerin stammt, aber auch nicht von der Lektorin, sondern von euch beiden, und das ist wunderschön, denn so soll ein Lektorat sein!
Sabine Baumann schlägt ihre Übersetzer:innen auch durchaus für Preise vor, was an sich schon eine Ehre ist, und wenn es mit dem Preis klappt, rieselt tatsächlich mal etwas Sternenstaub auf die sonst im Verborgenen arbeitenden Sprachkünstler:innen herab, begleitet von einem für unsere bescheidene Zunft großen Haufen von Goldmünzen, oder etwas nüchterner gesagt: einer dringend nötigen Finanzspritze, denn gerade literarische Großprojekte sind für Übersetzer:innen betriebswirtschaftlich gesehen ruinös.
Liebe Sabine, manchen magst du hier und da wie eine gute Fee vorkommen, aber ich weiß, wir wissen, dass du nicht einfach nur mit dem Zauberstab wedelst, sondern dass du sehr, sehr viel Zeit, Arbeit und Herzblut in all diese Dinge investierst. Aus der wirtschaftlichen Sicherheit eines Angestelltenverhältnisses im Verlag heraus tust du dort, aber auch in deiner Freizeit, was du kannst, um die dürftige Vergütung der Übersetzer:innen zu verbessern, um ihnen zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen und um sie in ihrem Wirken und ihrer Professionalität anzuerkennen. Das tust du auf so sympathische, verbindliche und professionelle Art und Weise, dass wir gar nicht anders können, als dir zu danken, dich zu ehren und deinen Einsatz anzuerkennen.
Herzlichen Glückwunsch, liebe Sabine, zur Übersetzerbarke des VdÜ 2022.
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Liebe Marieke, liebe Jury, liebe Kolleg:innen, liebe am Übersetzen Interessierte,
mit der Übersetzerbarke ausgezeichnet zu werden, ist mir eine ganz besondere Ehre und eine riesige Freude! Ich nehme sie als ein Zeichen meiner engen Verbundenheit mit dem Übersetzen und denen, die es als Beruf und als Kunst mit so viel Leidenschaft und Engagement ausüben. Nicht nur, weil ich selbst einige Jahre lang übersetzt habe, schlägt mein Herz für Menschen, die immer mindestens zwei Sprachen im Ohr, manchmal auch verschiedene Alphabete vor Augen und ein Hirn wie ein Thesaurus haben. Mit wem sonst kann man sich so intensiv darüber austauschen, wie sich die verschiedenen Sprachen als Niederschlag kultureller Mentalitäten entwickeln, wie sich Autorinnen und Autoren darin ausdrücken und wie man in der eigenen Sprache den Ton des Originals im Deutschen treffen und die besten Entsprechungen finden kann?
Ich habe das Glück, seit 13 Jahren in einem unabhängigen Verlag zu arbeiten, der neben Prosa und Lyrik deutschsprachiger Autor:innen auch großartige Werke der Weltliteratur in Übersetzung veröffentlicht, manche davon Klassiker der Moderne, andere von wichtigen Stimmen der Gegenwart. Das Spektrum der von mir betreuten Titel ist dabei sehr breit: Sie kommen aus Osteuropa, Nord- und Lateinamerika ebenso wie aus Skandinavien oder den romanischen Ländern.
Da wird mir jeden Tag aufs Neue bewusst, wie viele fantastische Entdeckungen ich den Übersetzenden verdanke, wie sehr ich mich auf sie verlassen kann und viel ich von ihnen lerne. Viele Bücher würden ohne die Übersetzerinnen und Übersetzer, die durch ihre Netzwerke und Aufenthalte in den Herkunftsländern auf sie aufmerksam werden, sie für die Lektorate in den Verlagen begutachten oder sie ihnen von sich aus ans Herz legen, gar nicht den Weg in unser Verlagsprogramm finden. Überset-zer:innen heben Schätze und öffnen mit kenntnisreichen Nachworten oder bei Veranstaltungen auch dem breiten Lesepublikum dafür die Augen. Ganz oft sind sie die deutsche Stimme einer Autorin oder eines Autors und schon vor dem Lektorat deren gründlichste und kritischste Leser:innen. Aber auch dann, wenn sie »einfach nur« beauftragt werden, gebührt ihnen für diese verantwortungsvolle Tätigkeit neben einem angemessenen Honorar – Schöffling & Co. hat sich der GVR angeschlossen – auf jeden Fall namentliche Nennung sowie öffentliche Anerkennung und die große Bühne, die ihnen allzu oft verwehrt werden.
Namentlich genannt werden Übersetzende bei Schöffling & Co. seit Kurzem auch auf dem Umschlag, und nennen möchte ich hier einige von ihnen, mit denen ich schon seit vielen Jahren und teils an besonders erwähnenswerten Projekten zusammengearbeitet habe, mit denen Freundschaften entstanden sind und denen ich verdanke, dass ich meinen Beruf als so anregend und geistig bereichernd empfinde. Das Namedropping sei mir daher gestattet! Mit meiner Freundin Miriam Mandelkow, die ich für ihre einfühlsamen und reflektierten Übertragungen zutiefst bewundere, habe ich das Glück, gemeinsam den Nachwuchs fördern zu können. Unsere Über-Kreuz-Seminare des Loorener Übersetzerhauses zur Verbesserung des Zusammenspiels von Übersetzung und Lektorat genieße ich jedes Mal sehr und finde es beglückend zu erleben, wie viel sich aus Texten herausholen und wie sehr sich der professionelle Austausch darüber verbessern lässt. Seither habe ich das Glück, im Lektorat mit Roxane Dänner zusammenzuarbeiten, die mich gestern zu den Übersetzungsstipendiat:innen der Frankfurter Buchmesse begleitet hat.
Für unseren Verlag Schöffling & Co. haben Brigitte Döbert aus dem Serbischen und Ulrich Blumenbach aus dem Englischen umfangreiche, anspruchsvolle Werke übersetzt: von Bora Ćosić und Joshua Cohen (für dessen Bücher auch Robin Detje und Ingo Herzke zum Einsatz kamen). Beide durfte ich über Jahre dabei begleiten und habe mich bemüht, sie nicht nur fachlich – zum Beispiel mit Recherchen oder beim Tüfteln an schwierigen Stellen – zu unterstützen, sondern auch persönlich auf ihrem Weg zu bestärken und sie anzufeuern, wenn der Langstreckenlauf zu belastend zu werden drohte. Beider Durchhaltevermögen und literarischer Einfallsreichtum wurde belohnt mit grandioser Resonanz der Presse, die endlich einmal die übersetzerische Leistung angemessen würdigte, sowie mit Auszeichnungen, die wir zusammen gefeiert haben.
Mit Luis Ruby konnte ich in das außergewöhnliche brasilianische Werk von Clarice Lispector eintauchen, mit Susanne Lange in das des kolumbianischen Autors Juan Gabriel Vásquez, mich mit Mirko Bonné in Grace Paleys New York und mit Ron Winkler in Lawrence Ferlinghettis San Francisco der 1970er Jahre zurückversetzen, mit der verstorbenen Verena Reichel, Ursel Allenstein und Ulrich Sonnenberg ungewöhnliche Werke skandinavischer Autor:innen der Gegenwart entdecken, mit Patricia Klobusiczky Grenzgänger der französischen und mit Jan Koneffke und Marianne Schneider der italienischen Literatur. Mit Mirjana und Klaus Wittmann habe ich an David Albaharis Romanen gearbeitet, mit Esther Kinsky, der verstorbenen Doreen Daume, Joanna Manc, Renate Schmidgall und Marta Kijowska an polnischen Büchern, mit Timea Tankó und Eva Zador an ungarischen, mit Georg Aescht und Ernest Wichner an rumänischen. Mit Doris Liebermann und Antje Leetz habe ich zwei in der DDR geborene Übersetzerinnen aus dem Russischen kennengelernt, die mir ihre Erfahrungen als Dissidenten und Nachfahren von Widerstandskämpferinnen anvertraut haben. Brigitte Walitzek und Barbara Christ begeistern mich mit ihrer großen Erfahrung und immer frischen Herangehensweise an die Bücher von Neil Smith und Amy Waldman, Priya Basil und Jami Attenberg.
Zeitzeugnisse von Überlebenden der Shoa sind dem Schöffling-Verlag ein wichtiges Anliegen, und hier haben Andrea von Struve und Petra Post der mutigen französisch-jüdischen Kundschafterin Marthe Cohn und Uda Strätling der über Algerien in die USA entkommenen Bergen-Belsen-Überlebenden Irene Hasenberg mit viel Sorgfalt und Einfühlungsvermögen ihre Stimme geliehen. Nicht zuletzt weil im Schöffling-Verlag Exil-Autor:innen zu neuer Bekanntheit verholfen wird, aber auch auf Anregung von Andreas F. Kelletat und seinem Team, die an der Uni Germersheim (teils zusammen mit den Universitäten in Wien und Lausanne) Übersetzerlebensläufe erforschen und der Nachwelt zugänglich machen, habe ich es nicht bei #namethetranslator belassen, sondern biografische Texte verfasst, unter anderem über Cornelius Bischoff und Maria Dessauer, die beide in der Türkei Zuflucht gefunden haben, und kann allen nur die Lektüre des Online-Übersetzerlexikons UeLEX sowie der Tagungsbände ans Herz legen.
Als Lektorin sitzt man ja nicht nur am Schreibtisch, sondern zieht auch selbst als Botschafterin der Literatur durch die Lande oder auf Messen wie diese hier, die dieses Jahr erfreulicherweise ganz im Zeichen des Übersetzens steht. Es gibt zwei Veranstaltungen, auf die ich mich immer ganz besonders freue. Das ist einmal die jährliche Verleihung des Ginkgo-Biloba-Preises für Lyrikübersetzung in der Stadtbücherei Heidelberg (Beate Frauenschuh), bei der ich zuletzt das Gespräch mit dem Preisträger Klaus-Jürgen Liedtke führen durfte, der aus dem Schwedischen und Dänischen übersetzt und mit der mehrsprachigen virtuellen Ostseebibliothek ein ganz besonderes Übersetzungsprojekt ins Leben gerufen hat. Und dann ist da die Jahrestagung des VdÜ in Wolfenbüttel, bei der ich dieses Jahr im Rahmen der renommierten und beliebten Abschlussveranstaltung Lucy Fricke mit ihrer Übersetzerin ins Englische, Sinéad Crowe, und ins Französische, Isabelle Liber, ins Gespräch bringen und der Autorin, die dadurch wohl etwas verstanden hat, den herrlichen Satz entlocken konnte: „Ein Buch müsste zuerst übersetzt werden, bevor es im Original erscheint.“ Sonst reise als Lektorin mit den mir lieben und hoch geschätzten Frankfurter Übersetzer:innen an und bin als Redakteurin der Zeitschrift Übersetzen zusammen mit Anke Burger und Karolin Viseneber vor Ort. Wolfenbüttel ist für mich keine Pflicht, sondern ein sehnsüchtig erwartetes Treffen mit Leuten, die Literatur in all ihren verschiedenen Facetten leben und so viele Rollen ausfüllen, indem sie ihre eigene Fortbildung organisieren, aus ihren Übersetzungen von Prosa, Lyrik, Sachbuch, Kinder- und Jugendbuch, Graphic Novels und Comic lesen und darüber sprechen, Veranstaltungen moderieren – und dann auflegen und abtanzen.
Lassen Sie uns jetzt unter dem Buchmessenmotto »Translate, Transfer, Transform« alle gemeinsam das Übersetzen feiern!