(Hier folgen die ungekürzte Fassung der Laudatio, die in Übersetzen Heft 2/2022 in gekürzter Fassung abgedruckt ist, sowie die ebenfalls ungekürzte Dankesrede des Preisträgers)
Lieber Jan, sehr geehrter Herr Staatsminister Blume, liebe Frau Graf, liebe Kolleginnen und Kollegen, werte Gäste,
vor ein paar Wochen habe ich mit drei Freundinnen – und Kolleginnen – beim Wein den Grundstein für ein Lexikon der im Deutschen fehlenden Wörter gelegt. Einem dieser Wörter, für das es bisher nur die Umschreibung gibt, haben wir den Arbeitstitel „Gönnneid“ gegeben. Gemeint ist der Wunsch, etwas, das jemand anderes hat, ebenfalls zu besitzen, zu wissen, zu … irgendwas, aber ohne den negativen Beiklang, den der normale Neid hat. Etwas, das man dem, der es hat, durchaus gönnt.
Zum Beispiel ein Übersetzerstipendium, wie es die Bayerische Landesregierung jedes Jahr vergibt. Das erfüllt mich als Berlinerin mit … Gönnneid. Und selbst die Gast-Hamburgerin, die ich bis vor drei Jahren war, blickt mit eben diesem Gefühl in den Süden, denn in Hamburg ist die Stipendiensumme nicht nur halb so hoch. Vor allem wird es bei einer Veranstaltung verliehen, bei der 3 ÜbersetzerInnenstipendien, 7 Literaturstipendien und ein Ehrenpreis vergeben werden. Da hat dann jeder 1 Minute Laudatio, 3 Minuten Gespräch und 3 Minuten Vorlesezeit. Gönnneid.
Dies vorab, damit ihr Bayern seht, wie gut ihr es habt, damit du, lieber Jan, diesen Abend, der allein dir gehört, besonders genießen kannst.
In ihrem Roman „Glory“ transponiert NonViolet Bulawayo ihre Geschichte über die Mugabe-Diktatur in ihrem Heimatland Simbabwe in eine Tierfabel à la Animal Farm. Geschichten über Diktatoren, die die Wirklichkeit auf den Kopf stellen, etwa Kriege als Spezialoperationen bezeichnen und Opfer zu Tätern erklären, sind universell. Aber nicht nur deshalb lässt sich George Orwells Roman von 1945 gut in das Simbabwe des 21. Jahrhunderts übertragen, sondern auch, weil aus einem Befreier seines Volkes dessen brutaler Unterdrücker wird. Das muss der Übersetzer im Hinterkopf haben, wenn er mit der Übersetzung dieses Romans beginnt. Er muss auch „Farm der Tiere“ wiedergelesen, die Geschichte Simbabwes studiert und sich über diverse Tierarten, ihre Laute und ihr Gebaren, schlau gemacht haben. Und ist damit nur einen ersten Schritt gegangen. Ein weiterer ist die Beschäftigung mit der oralen Erzähltradition Simbabwes und das Nachdenken darüber, wie sie sich ins Deutsche übertragen lässt, um – denn darauf kommt es an – eine ähnliche Wirkung zu erzeugen, wie im Original. Und dann kommt all das ins Spiel, was die Autorin an Eigenem in ihren Roman legt, der eine vielstimmige, vor absurden Bildern, Sprachspielen und Wortschöpfungen überbordende Satire ist.
Ob es dir, lieber Jan, gelingen wird, werden wir im nächsten Jahr wissen, wenn die Übersetzung fertig und erschienen ist. Was wir aber schon kennen, ist der Probetext, auf dessen Grundlage dir die Jury das Übersetzerstipendium in einhelliger Überzeugung zuerkannt hat.
Die Jury bestand aus der MÜF-Vorsitzenden und Englisch-Übersetzerin Tanja Handels, der Tschechisch-Übersetzerin Kristina Kallert und mir, die ich aus dem Französisch übersetze.
Lassen Sie mich einen Satz – einen einzigen!- aus der Übersetzungsprobe vorlesen, in dem es um die Kraft des seit vier Jahrzehnte herrschenden Diktators geht:
„Die, die Bescheid wissen, sagten, diese Kraft sei einst, vor langer, langer, langer Zeit, noch ein Dutzend Mal stärker gewesen, besonders in den ersten Herrschaftsjahren Seiner Exzellenz, als sein bloßes Erscheinen unreife Früchte beinah bis zur Fäulnis reifen ließ, kranke von ihren Gebrechen heilte, Felsen zu Matsch schmolz, Stürme und Hitzewellen abstellte, Hochwasser, Buschfeuer und Heuschrecken umlenkte, tödliche Viren bezwang, noch ehe sie an einen Angriff denken konnten, und trockene Flüsse wieder strömen ließ – ja, tholokuthi das bloße Erscheinen des Vaters der Nation hatte einst Motoren angelassen, Stahlträger verbogen und zu verschiedenen vebrieften Gelegenheiten mehrere Dutzend Jungfrauen geschwängert, sodass schon lange Zeit, bevor er die Eselin geheiratet und Kinder mit ihr gezeugt hatte, wahre Ströme des Bluts seiner Exzellenz durch ganz Jidada flossen.“
In diesem Satz ist eigentlich alles drin, was die Jury in ihrer Begründung lobt, das Rhythmusgefühl, die Gratwanderung zwischen politischer Tragik und Komik, die bedrohlich schillernden Untertöne.
Mich begeistert darin vor allem die ironische Brechung des vermeintlichen Pathos durch die Wortwahl, etwa das Reifen bis zur Fäulnis oder das Schmelzen zu Matsch und natürlich die Ströme des Diktator-Blutes, die durch die Straßen von Jidada wie durch die Adern seiner Bewohner fließen.
Lieber Jan, wir freuen uns darauf, die Übersetzung zu lesen und wünschen dir für den Weg dahin viel Kraft, und vor allem Mut und Experimentierlust. Und das Stipendium gönnen wir dir ganz ohne Neid!
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Sehr geehrter Herr Staatsminister Blume, sehr geehrte Frau Graf, liebe Frau Donoughue, liebe Claudia, liebe Kristina, liebe Tanja, liebe Freund*innen, Kolleg*innen und Gäste,
Ich erinnere mich ganz gut, wie ich vor zehn Jahren, noch vor meiner ersten Romanübersetzung, zum ersten Mal die Einladung zu einer Verleihung des Bayernstipendiums im Briefkasten fand. Damals hatte ich nur eine vage Ahnung, worum es dabei genau ging, und überhaupt keine, womit ich diese schicke Einladung verdient hatte.
Seither habe ich an vielen dieser schönen Abende teilgenommen und mich für die großartigen Kolleginnen und Kollegen gefreut, die hier im Literaturhaus vom Freistaat Bayern ausgezeichnet wurden. Entsprechend groß war meine Freude, als ich dieses Jahr im Briefkasten einen Brief von Ihnen fand, Herr Blume. Und wenn ich so daran zurückdenke, wer hier in den letzten Jahren alles stand – und mit was für vielfältigen, faszinierenden Projekten –, fühle ich mich doppelt geehrt, heute selbst hier stehen zu dürfen. Und ich freue mich besonders über die Auszeichnung für gerade dieses Buch, über das wir ja gleich noch etwas ausführlicher sprechen werden.
Das Arbeitsstipendium für literarische Übersetzerinnen und Übersetzer des Freistaats Bayern – oder eben kurz „Bayernstipendium“, wie wir Übersetzer*innen es gern nennen – ist meines Wissens eine in der gesamten Bundesrepublik einzigartige und zugleich eine besonders schöne Konstruktion: Der Freistaat vergibt ein Stipendium, um die Arbeit an einem laufenden Projekt zu fördern, aber gefeiert wird wie bei einem Preis. Und gefeiert wird damit eben nicht in erster Linie ein fertiges Werk, ein Produkt, sondern die künstlerische Arbeit der Übersetzer*innen selbst – in actu, sozusagen. Zur – für die meisten von uns leider dringend nötigen – finanziellen Unterstützung für eine oder einen von uns kommt hier also die Ehrung der Kunst und Arbeit des Übersetzens, was ein Stück weit auch uns alle, all die fantastischen, sonst meist allzu unsichtbar bleibenden Übersetzerinnen und Übersetzer, von denen es gerade hier in München und Umgebung ja doch eine ganze Menge gibt, an einem Abend im Jahr ins Rampenlicht rückt. Uns – und eben das Übersetzen selbst.
Dass dieses Übersetzen überhaupt funktioniert, ist für mich, je länger ich es mache, ja eigentlich ein immer größeres kleines Wunder. Manchmal sitze ich vor einem Satz, muss gar kein komplizierter sein, und denke: Im Grunde ist das, was wir da tun sollen und wollen, doch vollkommen unmöglich. Schon in einer simplen Grußformel kann ja so viel Kontext stecken: Kontext des Buchs und seiner Figuren, klar, aber auch einer ganzen Sprache, Kultur und Gesellschaft. Wie soll man da auch nur damit anfangen, sich im Deutschen zum Beispiel zwischen Hallo, Hi, Guten Tag oder Tach zu entscheiden? Man kann was wir da tun mit Recht eine „Kunst des Scheiterns“ nennen, aber vielleicht auch einfach Alchemie. Das Verb „übersetzen“ scheint mir jedenfalls manchmal eine ziemlich unzureichende, viel zu nüchterne Bezeichnung dafür, was da in Wahrheit abläuft.
Vielleicht ist diese begriffliche Nüchternheit der Grund, aus dem so gern eine schier unendliche Vielzahl mehr oder weniger pathetischer Metaphern bemüht wird, um die Kunst des Übersetzens zu beschreiben, vom Brückenbauen übers Schauspielern bis hin zum Tanzen in Ketten, um nur drei weitere zu nennen. Vielleicht ist es aber auch gerade die seltsame Mixtur aus Nüchternheit und sturer, alchemistischer Realitätsverweigerung, die unsere künstlerische Arbeit ausmacht: Einerseits all die sprachlichen, kulturellen und sonstigen Fakten zu kennen und anzuerkennen, sie oft in mühevoller Kleinarbeit zu recherchieren, sich von ihnen andererseits aber auch nicht daran hindern zu lassen, aus dem Original etwas Buchstabe für Buchstabe vollständig Neues zu schaffen, das am Ende doch möglichst dasselbe sein soll. Sich sehenden Auges und mit kühlem Kopf in eine scheinbar völlig hirnverbrannte Aufgabe zu stürzen, also, und sich darüber sogar noch zu freuen!
Aber – was für ein Wunder! – irgendwie gelingt‘s am Ende meistens doch, und das ganz ohne Stein der Weisen. Nein, wenn es gelingt, dann deshalb, weil Übersetzer*innen nicht nur das nötige Maß dieser viel zu oft – und wohl auch gerade von mir mal wieder – mystifizierten Eigenschaft namens „Kreativität“ mitbringen, sondern weil sie auch jede Menge echte Arbeit leisten. Weil sie sich die Zeit nehmen, sich intensiv mit mindestens einer anderen Sprache und Kultur zu befassen – und zwar längst nicht nur ihre mehr oder minder gut bezahlte Arbeitszeit –, weil sie sich mit viel Herzblut auf ihren jeweiligen Text einlassen und ihn langsam, sensibel, wagemutig, Stück für Stück in ihrer Zielsprache neu bauen, um den Menschen in der Welt, für die sie schreiben, einen Zugang zu den Welten zu ermöglichen, über die ihre Autor*innen schreiben. Sich diese Zeit zu nehmen, muss man sich freilich leisten können, sprich: Wer für diese Kunst lebt, muss auch einigermaßen von ihr leben können. Stipendien wie dieses hier leisten dazu einen großen Beitrag.
Und übrigens: Damit Stipendien wie dieses hier überhaupt möglich sind, müssen ein paar dieser Übersetzer*innen sich obendrein immer wieder die Zeit nehmen, in Form einer Jury die Arbeit ihrer Kolleg*innen zu begutachten, zu diskutieren und dann schwierige Entscheidungen zu treffen. Und Menschen im Ministerium und im Literaturhaus müssen sich um die ganze Organisation kümmern, die uns einen Abend wie diesen beschert. Dafür – für all diese Arbeit – meinen herzlichen Dank.
„Die Weltliteratur wird von Übersetzern gemacht“, sagte José Saramago mal in einem Interview, und auch das hätten die meisten von uns wohl nie erfahren, wenn es nicht irgendwer für uns übersetzt hätte. Dahinter steckt Kunst, dahinter steckt Arbeit, und es ist wunderbar, dass der Freistaat Bayern schon seit vielen Jahren beides in so feierlichem Rahmen würdigt und unterstützt. Dafür bin ich heute sehr dankbar, sowohl in meinem Namen, als auch, if I may, im Namen der ganzen bayerischen Übersetzer*innenschaft. In aller Bescheidenheit des heute Ausgezeichneten also: Vielen, vielen Dank.
Und in aller Unbescheidenheit des heute Ausgezeichneten – und erst recht in unser aller Namen: Gerne mehr davon, lieber Herr Staatsminister! Dankeschön!