Dankesrede Voß-Preis

(Dies ist die ungekürzte Fassung der Dankesrede von Barbara Kleiner anlässlich der Verleihung des Voß-Preises wie in Übersetzen 02/2021 angekündigt)

Danksagung Johann Heinrich Voß Preis von Barbara Kleiner

Sehr geehrter Präsident der Akademie, sehr geehrte Damen und Herrn,

La vita non è nè brutta nè bella ma è originale, „das Leben ist weder hässlich noch schön sondern originell.“ Dieser Satz von Italo Svevo kam mir in den Sinn, als ich erfuhr, dass ich 2021 mit dem Johann Heinrich Voß Preis ausgezeichnet werde. Durch meine Entscheidung, monomanisch nur aus dem Italienischen zu übersetzen und davon auch leben zu wollen, war ich mehrfach gezwungen, ganze Fantasy-Zyklen, Kochbücher oder eher triviale Literatur zu übersetzen. Ich fasse die Auszeichnung auch als Anerkennung für diese nicht immer ganz einfache Lebensleistung auf, für die mittlerweile über vierzig Jahre bewiesene Beständigkeit und Treue zu „meinem sprachlichen Süden“.

Der hohen literarischen Auszeichnung im eigentlichen Sinne würdig erscheinen mir aber die Klassiker-Neuübersetzungen, die ich vorgelegt habe: die Romane und Erzählungen von Italo Svevo und die Confessioni di un’italiano von Ippolito Nievo. Sie sind in dieser Reihenfolge auf Deutsch erschienen, und in dieser Reihenfolge möchte ich Ihnen Notwendigkeit, Sinn und Zweck der Neuübersetzungen erläutern. Nicht ohne bei der Gelegenheit Horst Lauinger meinen großen Dank auszusprechen, dem Verleger des Manesse Verlags, der diese Neuübersetzungen ermöglicht und als Lektor sachkundig und mit großem Engagement betreut hat.

Das Pseudonym, das sich der Triester Bankangestellte Ettore Schmitz anlässlich seiner zweiten Romanveröffentlichung zulegte, ist Programm: Italo Svevo bedeutet so viel wie „schwäbischer Italiener“ oder „italienischer Schwabe.“ Es nimmt damit Bezug auf die Tatsache, dass Ettore Schmitz besser Deutsch und Triester Dialekt beherrschte als Italienisch. Diese Unsicherheit im Italienischen führt zu dem, was Svevos schlechter Stil genannt wurde. Diese Ausgangslage verheißt ganz eigene Schwierigkeiten für die Übersetzung. Die nahm 1927 ein junger Österreicher auf sich, Piero Rismondo. Er war mit dem Autor befreundet und bemüht, die Unebenheiten von Svevos Stil zu glätten. Dadurch gehen aber wesentliche Sinnschichten des Textes verloren. Im Gegensatz dazu habe ich versucht,  den „unliterarischen“ Stil teils durch nicht ganz korrekte idiomatische Wendungen, vor allem aber dadurch wiederzugeben, dass ich, wo sich die Wahl bot, das niedrigere Sprachregister gewählt habe.

Das ist natürlich auf den ersten Blick eine eher undankbare Aufgabe, doch bei näherem Hinsehen auch eine lohnende. Wenn nämlich die Übersetzung, wie Walter Benjamin es ausdrückt, „liebend bis ins Einzelne hinein der Art des Meinens des Originals in der eigenen Sprache sich anbildet“, kommt in diesem Fall vor allem eins zum Vorschein: Svevos Komik und sein Humor. Nicht umsonst hat man Zeno Cosini mit Charlie Chaplin verglichen.

Ganz anders verhält es sich mit Ippolito Nievos Confessioni di un italiano, der zweiten Neuübersetzung eines Klassikers der italienischen Literatur, mit der ich mich befasst habe. Nievo, der von 1831 bis 1861 lebte, ist neben Alessandro Manzoni der zweite große Romanautor des italienischen 19. Jahrhunderts. Im Gegensatz zu Manzonis Promessi sposi ist sein 1862 postum erschienener Roman aber kein historischer sondern ein zeitgeschichtlicher, die Romanhandlung spielt zwischen 1775 und 1855. Paul Heyse, der große Vermittler italienischer Literatur in Deutschland, nahm die Confessioni in seine 1877 erschienene Anthologie „Italienische Novellisten“ auf und beauftragte die Schriftstellerin Isolde Kurz mit der Übersetzung des tausend Seiten umfassenden Werks. Er dürfte sie ermuntert haben, substantielle Kürzungen an Nievos Roman vorzunehmen, diese betreffen vor allem die historischen Passagen: Die erste deutsche Ausgabe der Erinnerungen eines Achtzigjährigen umfasste nur 750 Seiten. Wir haben es also auf Deutsch mit einem zeitgeschichtlichen Roman ohne Zeitgeschichte zu tun, obwohl der Protagonist Carlo Altoviti einleitend dezidiert erklärt: „Aber in all dem wäre doch nichts Merkwürdiges oder Erzählenswertes, wenn mein Leben nicht am Übergang dieser beiden Jahrhunderte verlaufen wäre, der eine recht denkwürdige Zeit bleiben wird, insbesondere für Italien.“ Man erinnert sich: Die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert war in ganz Europa von den napoleonischen Kriegen geprägt, aus deren Wirren in Italien die ersten Bestrebungen zur Befreiung und Einigung des Landes erwuchsen. Dieser unter dem Namen Risorgimento bekannte schwierige Prozess kam erst 1870 mit der Eroberung des Kirchenstaats zum Abschluss. In dieser konflikthaften Lage, in der ein geeintes Italien noch Utopie war, konnte Nievos Roman nicht unter dem vom Autor gewünschten Titel Confessioni di un italiano erscheinen, der Verleger wählte das unverfänglichere Confessioni di un ottagenuario, Bekenntnisse eines Achtzigjährigen.

1956 brachte der Suhrkamp Verlag eine Neuübersetzung der Confessioni von Charlotte Birnbaum heraus. Die trug den Titel Pisana. Bekenntnisse eines Achtzigjährigen. Charlotte Birnbaum verfuhr höchst eigenwillig mit dem Text, an einer Stelle ließ sie etwas aus und fügte anderswo etwas hinzu. Dabei gehorchte sie ihrer Auffassung, der Roman sei kein zeitgeschichtlicher, sondern ein Entwicklungsroman.

Angesichts dieser Sachlage war eine Neuübersetzung ein Desiderat zumal 1981 in Italien eine vollständige, philologisch gesicherte und kommentierte Ausgabe der Confessioni erschienen war. In meiner Neuübersetzung habe ich mich in erster Linie bemüht, die Syntax so genau wie möglich nachzubilden. Die ist komplex aber überall transparent. Dadurch tritt der historische Charakter des Textes ganz von selbst deutlich hervor. Entstanden ist nach meinem Dafürhalten eine vielstimmige und ausgefeilte Prosa, temperamentvoll und doch klar – wie Primo Levi es von literarischen Texten forderte, in denen er Dunkelheit nicht tolerieren mochte.

Nievo war neunundzwanzig Jahre alt, als er den Roman in knapp einem Jahr ohne Verbesserungen oder Korrekturen niederschrieb. Danach hatte er anderes zu tun, der ausgebildete Jurist schiffte sich mit Garibaldis Tausend nach Sizilien ein. Dabei kam er auf tragische Weise ums Leben.

Lassen Sie mich mit einer Übersetzung des Übersetzten schließen. Ippolito Nievo war nicht nur engagierter Publizist, Romanautor, Dichter und Soldat, er war auch als Übersetzer tätig. Er hat Sappho übersetzt, Victor Hugo und – Heinrich Heine. Des Deutschen nicht mächtig, stützte er sich, was Heine angeht, auf die französischen Prosaübertragungen von Gérard de Nerval, was damals gängige Praxis war. So lautet in Nievos Übertragung ein Heine Gedicht:

Nello splendor del maggio,
Quando l’umor fa forza
Alla rigonfia scorza
Sbocciò l’amore in me.

Nello splendor del maggio
Cantavano gli augeletti,
Quando i miei dolci affetti
Feci palese a te.

Sie hören es, Nievo hat in gebundene Form übertragen, und das deutsche Original lautet, Sie ahnen es bereits:

Im wunderschönen Monat Mai,
Als alle Knospen sprangen,
Da ist in meinem Herzen
Die Liebe aufgegangen.

Im wunderschönen Monat Mai,
Als alle Vögel sangen,
Da hab ich ihr gestanden
Mein Sehnen und Verlangen.

Wie Sie vielleicht bemerkt haben, hat sich Nievo, vermutlich unter Reimzwang, inhaltlich einige Freiheiten erlaubt. Aber das wäre ein ganz anderes Thema.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit, der Jury des Johann Heinrich Voß Preises für die mir verliehene Auszeichnung und meinem Laudator Iso Camartin für seine freundlichen Worte.