(Hier folgt die ungekürzte Laudatio, die in Übersetzen 02/2023 in gekürzter Form abgedruckt ist)
Lieber Rudi!
Im Namen des Vorstandes und des gesamten VdÜ überreicht Elke, unterstützt von Regina und Sabine, dir heute im kleinen, persönlichen Rahmen die Ehrengabe des Verbandes. In wenigen Wochen werden dann die über zweihundert in Wolfenbüttel versammelten Kolleg:innen dich und deine Verdienste um unseren Berufsstand feiern, und die Ehrung wird breiter publik werden.
Wie du weißt, ist die Gabe undotiert, sie besteht aus diesem Schreiben und der öffentlichen Anerkennung für deinen jahrzehntelangen Einsatz für die Ziele des Verbandes, für das Literaturübersetzen im Allgemeinen und für die Kolleginnen und Kollegen im Besonderen.
Die Liste deiner Verdienste ist so lang und so gut dokumentiert, dass es schwerfällt, das Wichtigste herauszufiltern. Und du bist so viel reicher an Lebensjahren als die meisten von uns, dass viele der derzeit Aktiven deine unzähligen Aktivitäten gar nicht auf dem Schirm haben, ja, haben können, denn dein unfassbares Engagement begann vor über 50 Jahren. Du hast dein Übersetzungsstudium in Germersheim abgeschlossen und wurdest 1970 Mitglied im VdÜ, dem du, wie sich der damaligen Verbandszeitschrift entnehmen lässt, gleich 1971 und noch einmal 1973 Geld gespendet hast. Irgendwann in den 1970ern bist du in München beim noch sehr jungen Stammtisch aufgetaucht, wurde mir berichtet, und du warst von Anfang an Feuer und Flamme rund um das Europäische Übersetzerkollegium in Straelen, das nach jahrelanger Vorbereitung 1978 gegründet wurde. Auch beim Vorvorgängerformat des Wolfenbütteler Gesprächs, das seit Anfang der 1970er Jahre bis 1998 in Bergneustadt stattfand, warst du eine zentrale Figur, häufig umgeben von anderen hoch verdienten Kolleg:innen, über denen, so heißt es, stets „eine besonders dichte Zigarettenwolke“ schwebte.
Seit den 1980er Jahren hast du unsere Verbandszeitschrift Übersetzen immer wieder mit kundigen Beiträgen bereichert, und du warst zweimal vier Jahre Mitglied unseres Vorstands, unter anderem als Schriftführer. Du hast in Straelen und bei den Jahrestagungen zahllose Seminare und Workshops geleitet, du warst 1996 Mitbegründer des Münchner Übersetzerforums (MÜF), du hast dort über Urheberrecht, VG Wort, Steuern, Fördermöglichkeiten referiert (es heißt „die Abende waren legendär“), hast für VdÜ, ver.di und KSK geworben und fast dreißig Jahre an der Ludwig-Maximilian-Universität in München Berufskunde unterrichtet. Du hast allen – auch und vor allem dem Nachwuchs – so plastisch wie drastisch vorgerechnet und gepredigt, dass „tausend Euro nicht gleich tausend Euro“ sind und eindringlich vor dem Ergreifen unseres Berufes gewarnt. Gleichzeitig hast du Münchner Neuankömmlinge in den späten Achtzigerjahren – und noch Generationen danach – mit offenen Armen in die Übersetzer:innenrunde aufgenommen und eine freundschaftliche Kollegialität vorgelebt. Du hast dir immer Zeit genommen, ihre übersetzerischen, betriebswirtschaftlichen oder steuerlichen Fragen zu beantworten. Oder auch ihre computertechnischen, denn du gehörtest zu den Ersten, die am Computer arbeiteten, dein Gerät war „ein wahrer Turm, mit lautstarkem Gebläse.“ Auch deine Hilfsbereitschaft kann wohl als legendär bezeichnet werden.
Du nimmst kein Blatt vor den Mund und hast mit deiner Streitbarkeit viel für unseren Berufsstand erstritten. Du hast in den ersten Jahren nach Gründung des EÜK das Profil des Kollegiums, wie wir es bis heute kennen und schätzen, maßgeblich mitgeprägt, es wurde zu einem Ort des kollegialen Austauschs, der künstlerischen Inspiration und der Unterstützung bei den alltäglichen Herausforderungen unseres Berufs. Es ist dein dich mit Stolz erfüllender Verdienst, dass Klaus Birkenhauer, von 1976 bis 1990 erster Vorsitzender des VdÜ, weiter die Stelle des Projektleiters des EÜK bekleidete.
Bei einem Ereignis, das wohl Teil des kollektiven Gedächtnisses der literaturübersetzenden Zunft ist, warst du an vorderster Front mit dabei: Mit zehn weiteren namhaften Kolleg:innen unterzeichnetest du einen offenen Brief an den Albrecht Knaus Verlag zur Qualität der dort 1992 erschienenen Übersetzung von Laurence Norfolks Bestseller Lempriere’s Wörterbuch, der im Frühjahr 1993 eine wochenlange Kontroverse in den Feuilletons auslöste. Diese Turbulenzen hatten eine öffentliche Debatte über die Kriterien einer guten Übersetzung zur Folge, das Literaturübersetzen rückte breiter ins Bewusstsein, und Übersetzer:innen wurden anschließend häufiger genannt.
Neben all dem hier nur ansatzweise skizzierten Engagement hast du ein enormes Œvre aus dem Englischen übersetzt, Sach- und Fachliteratur genauso wie anspruchsvolle belletristische Werke, allein die Liste bei Wikipedia umfasst ca. 210 Titel.
Lieber Rudi, wir verneigen uns vor dir und allem, was du für uns getan hast. Danke!
Sehr herzlich
Marieke Heimburger
(1. Vorsitzende VdÜ)