Rebekka an Regina Rawlinson

Rebekka an Regina Rawlinson

Frank Heibert, Regina Rawlinson

(Hier folgen die ungekürzte Fassung der Laudatio, die in Übersetzen Heft 2/2023 in gekürzter Fassung abgedruckt ist, sowie die ebenfalls ungekürzte Dankesrede der Preisträgerin)

Frank Heibert

Leipzig, 29.04.2023

Dass ich heute hier stehe, hat nicht nur den naheliegenden Grund, dass ich seit langem ein Fan unserer Kollegin Regina Rawlinson bin und daher Lobendes über unsere diesjährige REBEKKA sagen kann. Es ist nämlich so, dass ich meiner Bewunderung für sie schon einmal Ausdruck verliehen habe, nämlich vor sechs Jahren in einem Porträt für die Zeitschrift „Übersetzen“. Also, platt gesagt gab es diese Laudatio schon vor dem Preis. Natürlich heute mit Verbesserungen, Aktualisierungen und Ergänzungen.

Regina Rawlinson ist in München, wo sie lebt und arbeitet, weltberühmt (dazu später mehr), aber über München hinaus bislang noch weniger. Auf der Jahrestagung in Wolfenbüttel ist sie, wenn sie nicht gerade mit einem Workshop über internationales Fluchen und Schimpfen für Furore sorgt, nicht unbedingt auffällig – na, die Kleine mit der Zigarette und dem verschmitzten Grinsen, okay, schon klar, unverkennbar … Wer ihre tiefe Stimme mit dem hinreißenden Ruhrpott-Akzent einmal gehört hat, vergisst sie nicht wieder. Mit dem Rauchen

hat sie übrigens inzwischen aufgehört. Jedenfalls: Sie müsste viel bekannter sein. Und hier und heute kommen wir diesem Ziel hoffentlich etwas näher.

Sie ist eine ausgefuchste Könnerin ihres Fachs, der Unterhaltungsliteratur. Deren Übersetzung bringt bekanntlich einige Grundherausforderungen mit sich. So gilt zuweilen woanders (meist in den USA oder England, wo ein Großteil der Unterhaltungsliteratur herkommt) manches als gut geschrieben, was hier an andere Traditionen des Schreibens angepasst werden muss; ich meine etwa den Umgang mit redundanten Wiederholungen oder auch die in Dialogen gern

zwischengeschalteten Regieanweisungen anstelle von Verben des Sagens und Meinens, die man nicht zwingend wörtlich lassen sollte (die sog. „shrug-andfrown-literature“, eine Welt der gezuckten Schultern und gerunzelten Stirnen: „O mein Gott, wir sind zu spät!“ runzelte sie die Stirn. „Mach dir keine Sorgen“, zuckte er mit den Achseln …), oder die ewig beginnenden oder anscheinenden Handlungen (he began to say, she seemed to like it) und manch anderes, was im Englischen glatt läuft, im Deutschen aber nicht. Damit muss die gewiefte Übersetzerin elegant umgehen können.

Und dann punkten Autor:innen englischsprachiger Unterhaltungsliteratur oft mit Stileigenschaften, die in der Übersetzung nur mit Mut zu kreativer Freiheit gelöst werden können, und diese Freiheit wird im Genre Unterhaltungsliteratur im Deutschen weniger erwartet, d.h. den Übersetzer:innen weniger zugetraut oder zugestanden: Ich rede von sprachspielerischem Humor, sprechenden Eigennamen (z.B. in der Fantasyliteratur), pointenreichen Dialogen. Natürlich kann das Deutsche all das auch, aber nur, wenn die Übersetzerin es kann. Bei Regina sitzen die Witze, fließen die Sätze, knacken, spritzen und erfrischen die Dialoge. Und so schrieb ich Anno 2017: „Wann endlich gibt’s die Goldene Feder für übersetzte Unterhaltungsliteratur?“ Seit 2021 gibt es die REBEKKA, die nicht nur, aber endlich auch diese Sparte der Literaturübersetzung preiskrönt.

Nun hat Regina auch schon „n bissken Erfahrung aufm Puckel“, wie sie es sagen

würde. Nach ihrem Studienstart in Bochum ging sie für ein Jahr als assistant teacher nach England, dann studierte sie Anglistik, Amerikanistik und Germanistik in München; sie beschloss, dass weder das Lehramt noch die Academia so richtig ihre Kragenweite waren, und setzte noch den Aufbaustudiengang Literarisches Übersetzen drauf. Da wusste sie schon, wieviel Spaß ihr das Übersetzen machte. Der zündende Funke kam von den Praktikern, die an der Uni Übersetzungsübungen anboten, namentlich Christian Enzensberger, Thomas Piltz,

Burkhart Kroeber. Das konzentrierte Hobeln und Feilen an Texten mit einem echten Publikum im Blick fand sie viel besser als jedes akademische „Rumgequirle“. Und so kam sie auch zu ihrer ersten veröffentlichten Übersetzung, einer Erzählung in der Anthologie „Underground USA“, die 1984 bei Heyne erschien. Danach folgten praktisch lückenlos, ohne dass sie je großartig akquirieren musste, weitere Aufträge, für Heyne, diverse Random House-Verlage, S. Fischer, Piper, Insel, usw. Mittlerweile ist sie bei ungefähr 100 Titeln angelangt.

Zu ihren Lieblingsautoren zählt sie Sherman Alexie, den man einen „Indianer“ nennen darf, weil er das selber tut, humorvoll mit sämtlichen Rothaut-Klischees spielend; oder den Antikriegsautor Tim O’Brien (auf den ersten 10 Seiten des Vietnamromans „Was sie trugen“ ist genau das aufgelistet, also was sie tragen, 10 Seiten Ausrüstung, richtig hübsch zu recherchieren in Prä-Internetzeiten) oder auch den experimentellen, schräg-witzigen B. S. Johnson, der einen Roman mit vielerlei Erzählperspektiven geschrieben hat, „Albert Angelo“, inklusive einem Zukunfts-Guckloch (tatsächlich im Buch ausgestanzt, 4-5 Zeilen Durchmesser).

Und dann natürlich Terry Pratchett mit seiner Scheiben- und Brockenwelt. Das Projekt der Neuübersetzung teilte sie sich mit Gerald Jung, thematisch: Sie hatte Hexen und Tod, er Zauberer und den Rest. Sieben Bände und ein Hexenkalender stammen ihrer Feder. Die fantasie- und humorvollen Sprach- und Wirklichkeitselemente dieses Autors zu gestalten macht ihr einen Riesenspaß, nicht nur die Musik darin „brockt“ den Laden total, sondern auch ihre Sprache.

Wer neben den Scheibenwelt-Scheiben auch die Dialograketen von Lauren Weisbergers „Der Teufel trägt Prada“ zünden lassen kann (das war gemeinsam mit Martina Tichy), hat natürlich irgendwann einen Ruf weg, oder „landet in einer Schublade“. Im ernsteren oder literarischeren Fach hat sie sich zwar u. a. mit dem genannten B. S. Johnson bewiesen, aber natürlich müssen einen die Lektorinnen dafür halt auch auf dem Schirm haben. Bei einem Vice-VersaSeminar 2017 durfte ich persönlich miterleben, welch köstliches Vergnügen die subtile Ironie einer Autorin wie Jeanette Winterson bereitet, von der Regina damals den Erzählband „Wunderweiße Tage“ übersetzte. Mich beeindruckt, dass sie das mit den Schubladen zwar amüsiert registriert, aber nicht damit hadert, denn erstens übersetzt sie auch nur die Unterhaltungsliteratur, die sie überzeugt, und zweitens verkörpert ihre Arbeit die Tatsache, dass die Schubladen nur einen Genre-Unterschied anzeigen, keinen grundsätzlichen Qualitätsunterschied. Ein gut geschriebenes Buch verdient es, gut übersetzt zu werden, und das richtige Grundhandwerk dazu braucht es unabhängig vom Genre.

Regina reißt ihre Bücher nicht am Fließband runter. Jede und jeder hat andere Arbeitsweisen, bei ihr jedenfalls braucht der Prozess vier Durchgänge, mit vielen Varianten. Zu ihrem Arbeitsethos gehören nicht nur die auffälligen, die spektakulären Effekte (ich wette, sie hat Schubladen voller unübersetzbar aussehender Wortspiele, und vielleicht hat sie uns ja ein paar mitgebracht). Nein, um überzeugend die deutsche Stimme eines Erzählers, einer Erzählerin zu erschaffen und zu werden, sind die Dinge, die man hinterher nur merken würde, wenn sie sie nicht oder schlecht gemacht hätte, fast noch wichtiger: der wirklich übersetzte Satzbau und damit zusammenhängend Rhythmus und Musikalität, Betonungsstrukturen, insgesamt die Inszenierung der Gedanken oder Beschreibungen. Nennenswert ist hier auch der Umgang mit Wörtern und Formulierungen ‚mit Migrations-Hintergrund‘ – mit anderen Worten, die Unterscheidung zwischen guten und bösen Anglizismen. Das ist ein eigenes großes Thema,

aber in aller Kürze angetippt: Regina sieht und nutzt alle Gelegenheiten, das Deutsche schneller, frecher, witziger zu machen (was das Englische eh so gut kann), und zugleich verweigert sie die wohlfeilen, bequemen Strukturimitate, die entstehen, wenn man den englischen Satz auf Deutsch „einfach abschreibt“. Das ist im Eifer des Gefechts, in der ersten Fassung, schnell mal passiert (ich spreche aus Erfahrung). Aber: „Seine Augen wanderten zu ihrem Lächeln“, „sie legte ihre Hand auf seinen Ellbogen“ – derlei Sätze begegnen einem in den Übersetzungen von Regina Rawlinson eben nicht.

Man kann nicht von Regina erzählen, ohne ihr Engagement in der Münchner Übersetzerszene zu erwähnen. Kollegialität und Weitergeben war ihr von jeher wichtig und selbstverständlich. Jahrelang hat sie im früheren Aufbau- und heutigen Masterstudiengang Literaturübersetzen an der LMU unterrichtet, zuerst Übersetzungsseminare (nach denen sie den Studierenden noch weiter mit Rat und Tat zur Seite stand), danach, bis heute nur noch Berufskundekurse; sie schlug der Jury des Bayerischen Kunstförderpreises (deren andere Mitglieder eher übersetzungsfern waren) förderungswerte junge Kolleg:innen vor. Und sie hat seit seiner Gründung 1996 das Münchner Übersetzerforum, kurz und charmant MÜF genannt, maßgeblich mitgeprägt, 16 Jahre lang erst als 2., dann als 1. Vorsitzende. Das Forum bietet Workshops an, organisiert 3-4 öffentliche Übersetzerveranstaltungen jährlich im Münchner Literaturhaus; und das Arbeitsstipendium des Freistaats Bayern für Übersetzer, eine preisähnliche Auszeichnung, wurde auf Anregung des MÜF etabliert. 2011 erhielt sie übrigens selbst eines. Und wo wir schon dabei sind: 2020 bekam sie vom DÜF das große

Brockes-Stipendium, ein finanziertes Sabbatical, um mal aus dem Hamsterrad rauszukommen; es ist eine besondere Auszeichnung, aber ohne Rampenlicht.

Praktizierte Kollegialität heißt bei Regina auch, Bücher gelegentlich zu zweit zu übersetzen, mit Kolleg:innen, mit denen die Wellenlänge stimmt. Nicht weil es schneller ginge, das ist nämlich meist ein netter Selbstbetrug, an den nur Verlage glauben; sondern weil es dem Text dient – und weil es Spaß macht. All diese Formen, die Einsamkeit des Metiers zu überwinden, sind für Regina ausdrückliches Gegengewicht zu dem zuweilen auftauchenden Gefühl, „ins Nichts hinein zu übersetzen“. Damit meint sie die gerade in der Unterhaltungsliteratur typische Crux: miese Bezahlung, Zeitdruck und wenig Feedback. Klar wird ihre Arbeit vom Lektorat geschätzt, aber Anerkennung sollte sich außerdem schon durch anständige Bezahlung äußern, „zu wenig Honorar ist auch Missachtung“, sagt sie sehr treffend.

Da könnte man leicht in schlechte Laune verfallen. Regina – auch dafür bewundere ich sie – hält es lieber mit dem Lachen; wer bei ihr Berufskunde lernt, nimmt bestimmt eine großartige Haltung als Grundlage fürs Verhandeln mit, einen Mix aus Selbstbewusstsein, Jovialität, Pragmatismus und Witz.

Apropos gute Laune: Für den Schluss habe ich mir noch einen besonderen Leckerbissen aufgehoben. Wir alle wissen, dass das Literaturübersetzen auch eine performative Kunst ist, darstellend und musikalisch. Insofern ist es kein Wunder, dass auch Regina Rawlinson, wie so viele Kolleginnen und Kollegen, Musik macht; allerdings hat sie sich eine besonders lebenslustige Variante davon ausgesucht, auch eine sehr originelle, für eine Bochumerin in Bayern: Seit einiger Zeit besucht sie einen Jodelkurs. Also, nicht dass sie den bräuchte, damit sie auch mal was Eigenes hat. Aber, ohne Scherz, ich bin mir ziemlich sicher, dass nicht nur die Zuhörer:innen davon profitieren, sondern auch ihr Übersetzen.

Also applaudieren wir jetzt, johlen wir (nicht ganz jodeln, aber ein bisschen) eine Runde für die Preisträgerin der Rebekka 2023: Regina Rawlinson! Herzlichen Glückwunsch!

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Dankesrede anlässlich der Verleihung der Rebekka 2023

Regina Rawlinson

Leipzig, 29.04.2023

Herzlichen Dank für eure lieben Worte – Karen und Frank. Ich bin ganz überwältigt und gerührt.

Weil ich irgendwie doch schon damit gerechnet hatte, dass ich heute vielleicht tatsächlich ein wenig sprachlos sein würde – was mir ansonsten ja nicht sehr ähnlich sieht –, habe ich vorsichtshalber ein paar Sätze vorbereitet. Und für den Schluss noch eine kleine Leseprobe.

Ich möchte mich natürlich nicht nur für die lieben Worte bedanken, sondern vor allem auch für den Preis. Hurra! (WENN ich mein Jodeldiplom schon in der Tasche hätte, würde ich an dieser Stelle womöglich einen Jubeljodler ausstoßen. Da haben Sie also noch einmal Glück gehabt.) Ich bedanke mich beim Freundeskreis zur Förderung literarischer und wissenschaftlicher Übersetzungen e.V. für die Verleihung der REBEKKA und bei den privaten Gönnerinnen, die den Preis ausgeheckt und gestiftet haben.

Wenn man sich überlegt, wie viele Kolleginnen und Kollegen unsichtbar im Hintergrund vor sich hin übersetzen, sieht man: Ein Preis wie die REBEKKA war längst überfällig. Und so wird er im Kreis der Kolleginnen und Kollegen auch gesehen. Als wunderbare Belohnung und Anerkennung. Ich freue mich also nicht nur für mich selbst über die REBEKKA, sondern auch für alle anderen, deren wichtige und ebenfalls auszeichnungswürdige Arbeit sonst viel zu wenig wahrgenommen wird.

Dabei ist das Übersetzen von Unterhaltungsliteratur genauso abwechslungsreich und anspruchsvoll wie das Übersetzen von sogenannter ELiteratur. Immer wieder muss man sich in neue Genres, Themen, Zeiten und Welten einarbeiten. Dafür braucht es Fleiß, Kreativität, psychologisches Gespür für die Figuren und sprachliche Sensibilität.

Zur Veranschaulichung möchte ich meine letzten Übersetzungen nennen:

Autorinnen aus: den USA, Australien, Südafrika, Schottland.

Genres: Thriller, Schmusekrimi, Postkolonialdrama, Liebesroman,

Zeiten: Heute, 1929, heute, 1935

Spezialgebiete: Verlagswesen, Gifte; Chorgesang, Waffen, 1. Weltkrieg;

Leuchttürme, afrikanische Geschichte; Gartenbau, Pflanzen, Volksbräuche

Bei mir kam noch „erschwerend“ hinzu, dass drei dieser Romane Erstlinge sind. Etwas verkürzt ausgedrückt: Sicherlich immer gut gemeint, aber handwerklich nicht immer genauso gut gemacht. (Was auch daran liegt, dass in englischsprachigen Ländern offenbar kaum noch lektoriert wird, meine Autorinnen also sehr auf sich allein gestellt waren). In solchen Fällen sehe ich mich auch in der Verantwortung, der Intention der Autorin mit meiner Übersetzung gerecht zu werden und – wenn nötig! – mit zarter Hand helfend einzugreifen.

In erster Linie fühle ich mich aber dem deutschen Lesepublikum verpflichtet. Ob literarisch ambitionierter Text oder Schmonzette, ich gebe immer mein Möglichstes, um den Leserinnen und Lesern, das bestmögliche Leseerlebnis zu bereiten.

Mit meiner Lesestelle möchte ich Sie in eine ganz andere Welt entführen nämlich auf die Scheibenwelt des Fantasy-Autors Terry Pratchett.

Ich lese Ihnen einen Ausschnitt aus Das Mitternachtskleid, (Manhattan, 2011),

in dem es um die junge Hexe Tiffany geht.