Wieland-Preis an Eva Schweikart

Eva Schweikart (3. v. l.) bei der Preisverleihung, Foto © Wieland-Stiftung/Michael Kettel

Wieland-Preis an Eva Schweikart

(Dies ist die ungekürzte Fassung der Dankesrede, die in Übersetzen Heft 01/2020 in Auszügen abgedruckt ist.)

Sehr geehrte Frau Staatssekretärin Olschowski,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Zeidler,
sehr geehrte Jury,
liebe Karen,
liebe Frau Dr. Heinz,
liebe Frau Dr. Bönsch
und sehr geehrte Festgäste,

„Ich will es“, sagte die kleine Meerjungfrau und war bleich wie der Tod. „Aber du musst mich auch bezahlen“, sagte die Hexe, „und es ist nicht wenig, was ich verlange.“

Und das Schiff mit acht Segeln
Und mit fünfzig Kanonen
Wird entschwinden mit mir.

Diese beiden Motti hat Annet Schaap für ihren Kinderroman „Emilia und der Junge aus dem Meer“ gewählt. Die Andersensche Meerjungfrau findet bei ihr ein Pendant in dem „Meerjungmann“ Edward. Und die Protagonistin Emilia – oder Lämpchen, so wird sie meist genannt – kennt, wie die Seeräuberjenny in Brechts Ballade, den rauen Umgangston der Piraten.

Lämpchen ist die Tochter eines Leuchtturmwärters, der den frühen Tod seiner Frau nicht verkraftet hat und den Kummer darüber mit Schnaps betäubt. Dann kommt es vor, dass er sein Kind schlägt. Edward ist aus der Liaison eines Admirals mit einer Meerjungfrau hervorgegangen. Mit einem Fischschwanz geboren, wird er von seinem Vater ignoriert – bestenfalls verachtet. In einem Turmzimmer fristet Edward ein Dasein als vermeintliches Monster. Seine Welt ist die der Bücher, während Lämpchen in ihrem bisherigen Leben gerade mal zwei Wochen zur Schule gehen durfte.

Trotz ihrer widrigen Lebensumstände sind Lämpchen und Edward starke Charaktere und finden am Ende ihr Glück, wenngleich auf Umwegen.

Dass oft ein Umweg zum Ziel führt, mutet wie eine Binsenweisheit an, hat sich aber bei diesem Buch gleich dreimal bestätigt.

Annet Schaap hat lange Jahre als Kinderbuch-Illustratorin gearbeitet, bevor sie mit der Geschichte von Lampje – so heißt das Mädchen auf Niederländisch – ihr schriftstellerisches Debüt vorlegte. Sie ist damit nicht nur beim renommierten Verlag Querido untergekommen, sondern hat in den Niederlanden auch sämtliche wichtigen Preise im Bereich Kinderliteratur gewonnen.

Auch mein Berufsweg war nicht ganz geradlinig. Nach der Übersetzerausbildung in Heidelberg hätte ich nichts lieber getan, als gleich Bücher zu übersetzen. Heute bin ich aber ganz froh, dass es erst einmal anders kam. Denn um diese Arbeit gut zu machen, braucht es viel Leseerfahrung und auch ein Quantum Lebenserfahrung. Meine über zehn Verlagsjahre waren jedenfalls keine verschwendete Zeit.

Schließlich ist auch die Bewerbung um den Christoph-Martin-Wieland-Preis eine Art Umweg gegangen. Den Anstoß dazu hat nämlich der Verlag Thienemann gegeben – ihm verdanke ich am meisten, dass ich hier stehen und mich über diese phantastische Auszeichnung freuen darf.

Die Freude ist gleich mehrfach. Denn mit „Emilia und der Junge aus dem Meer“ wird erstmals ein Kinderbuch ausgezeichnet. Dass die Kinderliteratur es in den letzten Jahren immer seltener in die Feuilletons schafft, ist bekannt. Vor allem aber bedauerlich. Dem setzt dieser Preis ein starkes Signal entgegen. Zugleich wird erstmals eine Übersetzung aus dem Niederländischen prämiert. Und das hat sie wahrhaftig verdient, die großartige niederländische Literatur – korrekt muss es natürlich „die niederländischsprachige Literatur“ heißen, damit die flämische eingeschlossen ist. Ich bleibe aber der Einfachheit halber bei „niederländisch“.

Bis Anfang der 1990er wurden relativ wenige niederländische Titel ins Deutsche übersetzt. Das Jahr 1993 hat den Umschwung gebracht. Damals waren die Niederlande zusammen mit Flandern Gastland der Frankfurter Buchmesse. Und die Bemühungen, den deutschen Nachbarn ihre Literatur nahezubringen, hatten ungeahntem Erfolg. Der Trend, dass viel aus dem Niederländischen übersetzt wird, ist bis heute ungebrochen. Und er wurde durch den erneuten Gastlandauftritt im Jahr 2016 noch einmal verstärkt.

Zu verdanken ist diese Entwicklung dem Nederlands Letterenfonds und seinem flämischen Pendant namens Literatuur Vlaanderen. Beide Institutionen gewähren ausländischen Verlagen großzügige Übersetzungsförderung.

Aber damit nicht genug: Sie unterhalten in Amsterdam bzw. Antwerpen auch Übersetzerhäuser nach dem Vorbilddes Europäischen Übersetzerkollegiums in Straelen. Man kann dort eine Zeitlang kostenlos wohnen und sich in aller Ruhe einem Projekt widmen. Ich nutze diese Möglichkeit regelmäßig.

Bei solch einem Aufenthalt in Amsterdam habe ich Annet Schaap kennen gelernt. Und Jahre vorher, ebenfalls in Amsterdam, saß ich bei einer Übersetzerehrung im Publikum. Die inzwischen leider verstorbene Thérèse Cornips wurde für ihre Proust-Übersetzungen ins Niederländische ausgezeichnet. Sie hat übrigens auch aus dem Deutschen übersetzt, unter anderem Johnson, Hesse und sogar Goethe.

Als sie gebeten wurde, ihr Vorgehen beim Übersetzen zu erläutern, sagte sie: „Ik vertaal maar die zinnetjes“ = „Ich übersetze einfach die Sätze.“ Ganz so lakonisch will ich es nicht halten, und das hat natürlich auch Frau Cornips nicht gemacht. Ich denke, sie wollte damit sagen, dass man als erfahrener Übersetzer manches intuitiv richtig macht, ohne lange über Formulierungen zu brüten.

Aber das Wenigste fließt einem leicht und locker aus der Feder. Viel häufiger ist Ausprobieren, Verwerfen, Grübeln, erneut Ausprobieren und so weiter angesagt. Und oft ist auch Kreativität gefordert.

Ein Beispiel: Der Junge Edward will Lämpchen das Lesen beibringen. Dabei geht er so vor: Er schreibt Buchstaben auf je ein Blatt Papier und legt die Blätter zu einem Wort nebeneinander. Später tauscht er einen Buchstaben aus, sodass sich ein neues Wort ergibt. Im Niederländischen heißen die zwei Wörter, um die es geht, „zon“ und „ton“, Z-O-N und T-O-N geschrieben. Die deutschen Entsprechungen „Sonne“ und „Tonne“ sind zweisilbig, darum habe ich sie gleich verworfen. Und auch, weil die Konsonantendopplung für Leseanfänger schwierig ist. Wichtig war es, Begriffe aus Lämpchens begrenzter Lebenswelt zu finden, so wie Sonne und Tonne. Ich habe mich für „TOR“ und „ROT“ entschieden. Edward braucht dann nicht einmal mehr einen Buchstaben auszutauschen. Es genügt, wenn er die drei vorhandenen anders anordnet.

Edward ist am Ende mit Lämpchens Leseleistung zufrieden. Und zufrieden war auch die Übersetzerin, als sie eine funktionierende Lösung gefunden hatte.

Bleibt mir noch zu danken:

An erster Stelle danke ich Annet Schaap dafür, dass sie dieses schöne Buch geschrieben hat.

Ich danke Sandra Rothmund vom Verlag Thienemann, die mich mit der Übersetzung betraut hat.

Ich danke dem Freundeskreis und seiner Jury dafür, dass sie das Buch ausgewählt haben.

Ich danke Frau Dr. Heinz für die wunderbare Laudatio.

Ich danke dem Land Baden-Württemberg (aus dem ich übrigens stamme) für das großzügige Preisgeld, der Stadt Biberach und insbesondere Frau Dr. Bönsch von der Wieland-Stiftung für die Ausrichtung dieser Feier.

Ich danke Jessica und Vanessa Porter für die Musik, und Ihnen allen danke ich fürs Kommen und für Ihre freundliche Aufmerksamkeit.