(Dies ist die vollständige Laudatio von Maike Albath zur Verleihung des Ginkgo-Biloba-Preises an Theresia Prammer, die in der Printausgabe der Übersetzen in Auszügen abgedruckt wurde.)
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Jury, liebe Theresia Prammer,
vermutlich ist es der große, streitbare italienische Schriftsteller, Filmemacher, Intellektuelle und vor allem Dichter Pier Paolo Pasolini, der den heißen Kern von Theresia Prammers Arbeit als Übersetzerin bildet. Pasolinis Fähigkeit, die Wirklichkeit immer wieder in den Blick zu nehmen, sich ihr zu stellen mit allem kreativen Potenzial, das er besaß, nach Ausdrucksformen zu suchen und seine Sprache zu kalibrieren, lässt unsere Preisträgerin seit vielen Jahren nicht los. «Ich hielt die Erde für die Mitte der Welt/und die Poesie für die Mitte der Erde», heißt es in Pasolinis spätem Gedicht «Arbeitsgesuch» über die eigene, frühere Wahrnehmung.
Mit großem Gespür für die untergründige Trauer fängt Theresia Prammer in ihrer Übersetzung die Lakonie ein und reproduziert den Rhythmus des Originals, den an der Oberfläche alltagssprachlichen Duktus, bei dem aber immer die Kenntnis der Klassiker mitschwingt. Sie vermittelt die typische Drastik Pasolinis ebenso wie das Pathos. «Auftragsgedichte sind Sprengsätze» lautet der erste Vers des Gedichts, das um die Frage der Notwendigkeit von Lyrik kreist. Körper und Sexualität sind für Pasolini immer ein Mittel der Erkenntnis: Er sei ein «vorace economizzatore» gewesen, «gefräßig haushaltend» übersetzt Prammer und betont den oralen Charakter dieses Gegensatzpaares. Sein Geld sei sein Samen gewesen, erklärt das lyrische Ich weiter, Produkt einer Dauererektion. Nicht nur der Vergleich, auch die präzise Benennung seiner Potenz ist typisch für Pasolini, der durch seine Homosexualität schmerzhafte Ausgrenzung erfuhr. Den materiellen Erfolg erlebte er tatsächlich als Genugtuung, denn er erlaubte ihm, seinen Turm in Chia zu kaufen, worauf er in den anschließenden Versen anspielt.
Aber er geht streng mit sich ins Gericht. Seine Gedichte erschöpfen sich nicht in einem narzisstischen Moment, sondern sind immer auch Selbstbefragungen. In ihrem glänzenden Nachwort zu einer Zusammenstellung später und nachgelassener Gedichte, die Theresia Prammer gerade aus Anlass des Erlanger Literaturpreises für Poesie als Übersetzung herausgegeben und übersetzt hat, erläutert sie den Kontext. In «Arbeitsgesuch» reproduziert Prammer in ihrer Übersetzung auch das Spiel mit Termini aus der Bürokratie. Dass sie sich im Titel «Richiesta di lavoro» für den umständlicheren Ausdruck «Arbeitsgesuch» entscheidet und nicht für das viel banalere «Bewerbung» zeugt von der Schärfe ihres Gehörs. Aus «poesia su ordinazione» werden «Auftragsgedichte», aus der Formulierung «la vocazione è vacante» «die Berufung ist vakant». Was Pasolini in seinen Freibeuterschriften als seelenlose Sprache anprangert, verwendet er hier, um den Effekt einer normierten Sprache zu vermitteln. Er stellt den floskelhaften Charakter bewusst aus, der durch die Kombination von «su ordinazione», auf Auftrag, und «ordigno», Sprengsatz, auch auf lautlicher Ebene verstärkt und zugleich semantisch unterlaufen wird.
Die Lösungen, die Theresia Prammer findet, bewegen sich nie im luftleeren Raum. Ihre übersetzerische Arbeit, und das ist eine ihrer herausragenden Qualitäten, geschieht auf der Grundlage einer umfassenden Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Gesamtwerk, dem sie sich auch als Literaturwissenschaftlerin und Essayistin nähert. Sie überträgt ihre Dichter, von Pasolini über Andrea Zanzotto, Eugenio Montale, Amelia Rosselli bis zu Valerio Magrelli, um nur einige zu nennen, eben nicht nur von einer Sprache in die andere, sondern bezieht Poetologie, theoretische Überlegungen und die große Tradition der italienischen Dichtung mit ein. Dies ist umso notwendiger, als in der italienischen Lyrik die Verbindungen zu Dante und Petrarca bis in die kleinsten lexikalischen Verästelungen hinein zu finden sind und sich sehr viel enger gestalten, als, um nur ein Beispiel zu nennen, die von Marcel Beyer zu Walther von der Vogelweide. Auch in den prosaisch anmutenden Texten des späten Pasolini ist die Divina Commedia immer gegenwärtig, und sei es, wie Prammer eindrücklich zeigt, über die Lichtmetaphorik.
Wie vielfältig ihre Register sind, tritt auch in den Übertragungen des rumänischen Surrealisten Ghérasim Luca aus dem Französischen zu Tage, die sie gemeinsam mit Michael Hammerschmid bewerkstelligt hat. Hier stellt Prammer in jandelesker Weise ihr komisches Talent unter Beweis. Das Gedicht «körper annehmen» beginnt:
Ich flore dich
du faunst mich
Ich haute dich
und halte dich
und fenstere dich
du knochst mich
du ozeanst mich
du kühnst mich
du meteoritest mich
Und weiter unten dann:
Ich haare dich ich löchere dich nasen
ich hüfte dich
du heimsuchst mich
ich nüstere ich brüste dich
ich büste deine brüste dann gesicht ich dich
ich korsette dich
du geruchst mich schwindelst mich
du gleitest
ich schenkle und ich streichle dich
[…]
Und so geht es aufs Herrlichste noch eine Weile lang weiter. Mit ihrem Übersetzerkompagnon befragt Theresia Prammer hier das Sprachmaterial und zeigt, wie die Umfunktionalisierung eines Substantivs – Nasenloch oder Haare – zu einem Verb eine ganz eigene Erotik entfaltet. Eine wahrhaftige Wortlust setzt ein, eine Trunkenheit, die das Verfahren des Dichters im Deutschen fortspinnt. Auch hierzu gibt es einen klugen und aufschlussreichen Essay von Theresia Prammer. Dass sie eine bestechende Literaturwissenschaftlerin ist, beweist nicht zuletzt ihre Studie Lesarten der Sprache über die Möglichkeiten, den Dichter Andrea Zanzotto ins Deutsche zu übersetzen.
Das Nachdenken über die Übersetzbarkeit von Texten, worüber Theresia Prammer sehr viel mehr weiß als ich, hängt eng zusammen mit dem Nachdenken über die Sprache. Und in diesem Kontext fällt in der Geschichte der Philosophie immer wieder die tiefe Sehnsucht nach einer ursprünglichen, reinen, messianischen Sprache auf, nach der lingua adamica. Es ist typisch für die abendländische Tradition, dass die Verschiedenheit der Sprachen, die Vielfalt, negativ gesehen wird. Diese Denkfigur, die der Linguist Jürgen Trabant in seinem Buch über das Sprachdenken Mithridates (München 2003) so eingängig dargelegt hat, reicht bis in die Antike zurück. Sie schlägt sich auch in der biblischen Geschichte vom Turmbau zu Babel nieder. Die Menschen sind so vermessen und planen im Miteinander-Sprechen den Turm von Babel, um an Gott heran zu reichen. Die Strafe folgt auf dem Fuße, und sie lautet: Statt der einheitlichen, göttlichen Sprache gibt es jetzt viele Sprachen, damit «keiner des andern Sprache verstehe» (Genesis 11). Die vielen verschiedenen Sprachen sind nach der Sprachideologie der Bibel etwas Schlechtes.
Und wenn Sprache an sich schon stört und eher im Wege ist, dann ist Übersetzen natürlich doppelt schlimm. In der europäischen Tradition hat erst Johann Gottfried Herder den göttlichen Ursprung der Sprache zurückgewiesen und sie als Teil der Natur verstanden, als etwas, das wächst und sich verändert, und damit als etwas, mit dem man umgehen kann, was man also auch übersetzen darf. Ich möchte, mit dem Philosophen Wilhelm von Humboldt als Unterstützung, für den Genuss der Verschiedenheiten plädieren.
Gerade die Übersetzungen von Theresia Prammer ermöglichen uns ein Schwelgen in der Vielheit. Humboldt war als Übersetzer des Agamemnon des Aischylos mit den Herausforderungen des Berufes vertraut. In seiner Einleitung heißt es: «das unbestimmte Wirken der Denkkraft zieht sich in ein Wort zusammen, wie leichte Gewölke am heitren Himmel entstehen. […] Wie könnte daher je ein Wort, dessen Bedeutung nicht unmittelbar durch die Sinne gegeben ist, vollkommen einem Wort einer anderen Sprache gleich seyn? Es muss nothwendig Verschiedenheiten darbieten […]. Das Übersetzen, und gerade der Dichter, ist vielmehr eine der nothwendigsten Arbeiten in einer Literatur, theils um den nicht Sprachkundigen ihnen sonst ganz unbekannt bleibende Formen der Kunst und der Menschheit, wodurch jede Nation immer bedeutend gewinnt, zuzuführen, teils aber, und vorzüglich, zur Erweiterung der Bedeutsamkeit und der Ausdrucks fähigkeit der eignen Sprache.»
Unermüdlich hat Humboldt auf die Schönheit der Mehrsprachigkeit aufmerksam gemacht und in der Vielfalt der Sprachen eine Bereicherung des Denkens erkannt: «Durch die Mannigfaltigkeit der Sprachen wächst unmittelbar für uns der Reichthum der Welt und die Mannigfaltigkeit dessen, was wir in ihr erkennen; es erweitert sich zugleich dadurch für uns der Umfang des Menschendaseyns, und neue Arten zu denken und empfinden stehen in bestimmten und wirklichen Charakteren vor uns da», unterstreicht er. Das Übersetzen ist also Teil dieses schöpferischen Prozesses, bei dem das Andere, das Fremde zum Gegenüber wird.
Übersetzungen, und das zeigt die Arbeit von Theresia Prammer, können einen befreienden Effekt haben und auf die jeweilige Sprache zurückwirken, denn sie sind weniger strikt im Umgang mit Normen, verfügen über andere Bildwelten und andere Formenrepertoires. Pasolini entdeckte im Partikularen eine revolutionäre Kraft: Seine frühen Gedichte entstanden auf Friaulisch, im Dialekt seiner Mutter. Von dem Freund und Dichter Andrea Zanzotto, aufgewachsen in der Nachbarregion, erschien 1992 ein Gedicht über Pasolini, von dem es eine Übersetzung von Theresia Prammer gibt. «Quer durchs Friaul» heißt es. In den ersten Versen setzt er das «Du» und die Landschaft in eins – es sei «angesengt / von Blau», und «Nichts auf der Welt» könne diese «unvorstellbare Vibratilität» erschöpfen. Mit wenigen Zeilen erfasst Zanzotto das Widersprüchliche und Zerrissene Pier Paolo Pasolinis: Verwurzelt in der Herkunft, aber zugleich getrieben und durchdrungen von der Notwendigkeit radikaler Gesten. Dass sich Theresia Prammer für das Verb «angesengt» entscheidet, lässt das Motiv des Feuers mitschwingen. In den Schlusszeilen des kurzen Gedichts vergleicht Zanzotto den Freund mit einem «Benandante», einem beunruhigenden, aber gutmütigen Geist aus der friaulischen Volkstradition.
Tastend beinah, blindlings, doch beinahe
heiter kreuzen wir bereits
das silbrige Gewimmel deiner Wege
hin zu anderen Ernten
anderen Elementen
Hier scheint mir das Erbe Pasolinis aufzuflackern, dessen sich selbst verzehrende Vitalität Theresia Prammer durch die Formulierung des «silbrigen Gewimmels deiner Wege» unterstreicht, was eine besonders glückliche Entscheidung ist für: «gli argentini grovigli dei tuoi percorsi/verso altri raccolti/ altri elementi».
Eine Wissenschaft vom Licht lautet der Titel der vorzüglichen Pasolini- Nummer 73 der Zeitschrift Schreibheft von 2009, der ich dieses Gedicht entnommen habe, herausgegeben und größtenteils auch übersetzt von Theresia Prammer. Enthalten ist ebenso ein berühmtes Gedicht an die Redakteure der Zeitschrift «Officina». Der erste Vers nennt die Freunde, im zweiten setzt dann die rhetorische Frage ein: «Wer hat weniger als ich das Recht, diese Verse zu schreiben?» Ein paar Zeilen weiter unten umreißt Pasolini den Kern seines Schreibens:
Nun fühle ich in mir den Geschmack gerade gefallenen Regens,
jeder Lebendigkeit des Daseins liegt ein Weinen zugrunde.
Nur eine verworrene Kraft sagt mir, dass eine neue Zeit
anbricht, für alle, und uns zum Neusein verpflichtet.
Dass sie hier «vivacità della vita» nicht mit «Lebendigkeit des Lebens», sondern mit dem poetischeren «Lebendigkeit des Daseins» übersetzt, zeigt, wie fein ihre Sprachnerven sind. «Dasein» hat einen anderen Bedeutungshof als «Leben», etwas Schicksalhaftes scheint mitzuschwingen und passt zu Pasolinis Selbstverständnis, sich allen Erfahrungen mit Haut und Haaren auszusetzen.
Ein letztes Beispiel möchte ich zitieren aus einem Konvolut von Pasolini- Übersetzungen Theresia Prammers. Das Gedicht heißt «Der Reichtum». Hier geht es mir um den Rhythmus und die Folge der Relativsätze.
Zwischen Horizonten, die das erloschene umbrische
Blau mit sonnigen Flussbetten überzieht
und gepflügten Hügeln, die sich im Himmel
verlieren, so hell, dass sie die Hornhaut
ritzen, oder in Tälern, wo leuchtende
Buchten sich auftun, bist du unterwegs, ahnungsloses
Auto – für das ich nichts als ein wenig Gewicht bedeute,
in das Leder gedrückt – und du, der du es lenkst,
und der du in diesem Gewicht an deiner Seite
– während du zu ihm sprichst, großspurig und kennerhaft –
allzu viel Leben vermutest… […]
Die Satzkaskaden vermitteln den Schwung und die Schnelligkeit, die Eroberung der Landschaft mit dem Auto – Pasolini war ein leidenschaftlicher Sportwagenfahrer. Das lyrische Ich richtet seinen Blick nach außen, spricht dann ein Du an, es herrscht eine freudige Atmosphäre des Eroberns, was Theresia Prammer über den Rhythmus vermittelt. Der Giotto-blaue Himmel ist ein offener Raum.
Man könnte sagen, dass Theresia Prammer in ihren Übersetzungen die «wilde Heuristik», für die Pasolini in einem der späten Gedichte Partei nimmt, unmittelbar vermittelt. In ihren Worten: die Überwindung der Ordnung stellt die Überlegenheit der Literatur wieder her, einziger Nährboden einer wirklich wilden Heuristik.
Theresia Prammers Nachwort ist das Reizvollste, was ich in den letzten Jahren zu Pasolini gelesen habe. Vor allem mit dem, was sie Pasolinis «Kondition des Oxymorons» nennt, zeigt unsere Preisträgerin, wie notwendig es wäre, diesen Dichter zu lesen. Denn die Räume werden enger, die Widersprüche eklatanter, und die Schablonen der medienkonformen Sprache scheinen jede Autonomie des Denkens, die wilde Heuristik, von vornherein zu beschneiden. Umso wichtiger ist das Sichversenken in Texte, das Nachdenken und das Übersetzen.
Theresia Prammer ist in der Dichtung zu Hause. Sie ist eine Bewohnerin der Sprache und nistet sich ein in den Stimmen ihrer Dichter, ahmt sie nach, gibt Eigenes hinzu und tritt aus ihnen heraus. Für sie bleibt «die Poesie die Mitte der Welt», trotz allem. Herzlichen Glückwunsch!