Sehr geehrter Herr von Kirchbach,
lieber Ulrich Blumenbach, du wirst gleich noch bedankt,
liebe Marieke Heimburger
liebe Freundeskreis-Vertreterinnen
liebe alle,
Bücher zu übersetzen, bringt mit schöner Regelmäßigkeit folgenden Moment mit sich: Endlich ist die 357. und letzte Seite fristgerecht mit einem adäquaten und wohlklingenden Satz abgeschlossen und man könnte erleichtert aufatmen. Doch oh Schreck! Da sind noch die Danksagungen. Schreck deshalb, weil es nicht nur bedeutet, sich noch ein paar Stunden durchs Netz zu googeln, um (in meinem Fall) herauszufinden, welchen Geschlechts „my brillant agent“ und „my wonderful publisher“ sind und was bitte noch mal ein „copy editor“ ist, sondern vor allem weil Danksagungen die hohe Schule der Synonymik sind. Ein gutes Dutzend verschiedener Formulierungen für „ich danke“ wollen erst einmal angemessen variantenreich ins Deutsche übertragen werden.
Deshalb ist es mir vom Gefühl her fast schon eine späte Rache, auf jeden Fall aber ein Vergnügen, Dankesworte ausnahmsweise einmal nicht übersetzen zu sollen, sondern selbst sprechen zu dürfen. Ich werde aber mit Rücksicht auf die anwesenden Übersetzerohren die Synonym-Gymnastik in Grenzen halten.
Ich danke als erstes dem Freundeskreis für diesen funkelnagelneuen Preis. Man könnte meinen, ein Preis, der gern mal – verkürzt – als Preis für „langjähriges Übersetzen“ apostrophiert wird, klingt nicht gerade wie der glamouröseste aller Preise, sondern ein bisschen nach goldener Uhr für langjährige Betriebszugehörigkeit, aber ich weiß ja, wie ihr den Preis meint, lieber Freundeskreis, und ich weiß vor allem, wie ich es meine, wenn ich ihn mit Freuden annehme. In der Langfassung würdigt der Preis ja langjähriges, kenntnisreiches, beharrliches und begeistertes Übersetzen, und damit identifiziere ich mich ausgesprochen gern.
Ich bin nicht wie manche anderen Übersetzer*innen primär über die Begeisterung für Literatur zum Übersetzen gekommen und mir entzieht sich bis heute weitgehend, was „hohe“ und was „nicht hohe“ Literatur ist, ich denke eher in guten und nicht so guten Büchern. Bei mir entspricht das Übersetzen vor allem meiner spielerischen Freude an Sprache, am Lösen von kniffligen Aufgaben auf einem Gebiet, auf dem ich mich kompetent fühle, und daran, mich für alles Mögliche nicht nur interessieren zu dürfen, sondern interessieren zu sollen.
Natürlich macht es mehr Spaß, ein Buch zu übersetzen, bei dem ich der Sprache des Autors/der Autorin vertrauensvoll folgen kann und nicht versuchen muss, peinliche Metaphernmixe oder inhaltsleere Schwafelformulierungen wohlwollend zu kaschieren. Und natürlich macht es mehr Spaß, einer kreativen, evozierenden, unabgedroschenen Sprache zu folgen, wenn sie das alles denn wirklich ist und nicht nur, wie es gerade das Englische oft zulässt, „poetisch“ klingt, aber bei näherem Hinsehen nur poetisch klingelt.
Wenn man, wie ich, jahrzehntelang vom Übersetzen lebt und deshalb ab und zu einfach einen Auftrag braucht, schneien einem aber auch Bücher auf den Schreibtisch, die literarisch eher unscheinbar sind, aber manchmal für Jahre etwas in einem anstoßen. (Ein Beispiel hierfür ist der bereits von Ulrich Blumenbach erwähnte Daniel Suarez, ein anderes etwa der von mir übersetzte Riesencomic über Andy Warhol). Auch das sind dann in meinem Erleben „gute Bücher“. In diesem Sinne durfte ich viele gute Bücher und – aus Überlebensgründen – auch viele nicht so gute Bücher übersetzen. Unter den langjährig Übersetzenden bin ich mit diesem durchwachsenen Tätigkeitsprofil ganz sicher nicht allein. Darum, danke, lieber Freundeskreis, dass es jetzt einen Preis gibt, der nicht mit Vokabeln wie „herausragend“ oder „hoch“ verbunden ist, sondern mit einem Wort wie „beharrlich“. Mir würde auch noch das Wort „redlich“ gefallen, aber das ist vielleicht doch etwas zu sehr verschlissen durch Zeugnis-Euphemismen wie „hat sich stets redlich bemüht…“
Und ich danke dir, lieber Ulrich, für diese Laudatio. Ich fühle mich überaus gewürdigt, und das auch noch für die richtigen Dinge. Ich danke dir bei dieser Gelegenheit auch für die vergnüglichen Zeiten, die wir beide hin und wieder als Co-Seminarleiter verbracht haben. Ich habe mich selten fünf Tage am Stück so gut amüsiert und so viel gelacht wie jeweils während unserer gemeinsamen Umgangssprache-Seminare.
Der nächste Adressat meines Dankes ist schwerer zu benennen. Ich habe mich für „Schicksal“ entschieden. Ich danke also dem Schicksal dafür, dass es mich diesen Beruf hat finden lassen, obwohl ich noch kurz, bevor ich ihn ergriffen habe, gar nicht wusste, dass es ihn gibt. Zum Glück kam mir 1976 dann doch der Gedanke, dass all diese ursprünglich fremdsprachlichen Bücher ja von irgendjemandem übersetzt worden sein mussten. Das klang interessant, und ich fragte Leute, die vielleicht etwas darüber wissen konnten. Und schon hatte das Schicksal wieder Gelegenheit einzugreifen, wenn auch nicht, indem es mir ermutigende Auskünfte zukommen ließ – im Gegenteil, der Tenor war „bloß nicht“. Unsicher, schlecht bezahlt, schwierig reinzukommen.
Aber das Schicksal – in diesem Fall als Zeitgeist der Siebziger Jahre verkleidet – wollte es, dass ich so hochmütig war, solche Warnungen als „kleinbürgerlich“ in den Wind zu schlagen. (Sie entpuppten sich im Folgenden als höchst realistisch. Aber andererseits entpuppte sich mein Hochmut als für mich genau richtig).
Und dann war das Schicksal auch noch so freundlich, für mich eine Ausnahme zu machen und mein unbedarftes Klinkenputzen auf der Buchmesse 1976 mit einem ersten Auftrag zu belohnen. (So was klappt eigentlich nie.) Und das Schicksal war offenbar auch weiterhin der Meinung, dass ich übersetzen sollte. Danke dafür.
Ähnlich wie dem Schicksal hätte ich auch der Frauenbewegung der 1970er Jahre für sehr vieles zu danken, aber hier möchte ich mich auf den beruflichen Aspekt beschränken. Dass ich mich mit Theorie und Praxis der Zweiten Frauenbewegung ziemlich gut auskannte, hat mir die ersten zwei, drei Jahre Übersetzungserfahrung bei Frauenbuchverlagen beschert und mir dann den Einstieg bei Rowohlt ermöglicht, weil der damalige Rowohlt-Lektor Helmut Frielinghaus (dem an dieser Stelle posthum gedankt sei) mir zutraute, Romane und theoretische Werke amerikanischer Feministinnen zu übersetzen. Danke, 70er-Jahre-Berlin, für ein Fundament an Erfahrung und Theorie, das mir bis heute hilft, Dinge zu verstehen, was beim Übersetzen nicht unwesentlich ist. Das gilt übrigens nicht nur für den Feminismus, sondern auch für die politische Ökonomie und den historischen Materialismus. Das alles zu studieren hatte ich damals in der Germanistik, Romanistik und Anglistik an der FU reichlich Gelegenheit, und wenn dabei offenbar auch die Kriterien für „hohe“ versus „nicht-hohe“ Literatur etwas zu kurz gekommen sind, bin ich doch für diese Schulung des Denkens sehr dankbar.
Und nun zu etwas Prosaischerem. Ich danke (und zwar mehrmals täglich) dem Internet für sein Dasein. Es hatte durchaus seinen Reiz, in Bibliotheken Stadtpläne, Konkordanzen, diverse Bibelausgaben, Schauspielführer und dergleichen zu wälzen und Bücher per Fernleihe zu bestellen oder auf Mikrofilm zu lesen, um ein, zwei Realien oder Zitate aufzuspüren, aber mir kommt die Recherche im Netz doch sehr entgegen. Ich bin ein großer Krimi-Fan und beim Krimi-Gucken wäre ich immer am liebsten der Nerd, der im Präsidium am Computer sitzt und die entscheidenden Dinge herausfindet. (Es müsste ja nicht gleich das obligatorische Asperger-Syndrom sein, aber ein bisschen wunderlich sein zu dürfen, gehört mit zu dieser Fantasie). Und so was Ähnliches wie der Kripo-Nerd bin ich ja auch tatsächlich geworden. Übersetzen heißt in meinem Fall, oft stunden- oder auch tagelang Dinge und Wörter im Netz zu jagen. Ich mag das Jagdfieber und ich mag die Befriedigung, wenn ich ein Faktum oder ein Wort endlich erbeutet habe. Danke, Internet.
Ich danke auch dem Computer als Schreibgerät. Nachdem ich mit dem beruflichen Schreiben auf der mechanischen Schreibmaschine angefangen und mich dann langsam über die elektrische Maschine mit all ihren Korrekturband- und Korrekturdisplaystufen zum Computer vorangearbeitet habe, bin ich in diesem Bereich ziemlich gefeit gegen Analogzeitalter-Romantik. Schon, weil Übersetzende früher Korrekturen mit TippEx und durch Überkleben mit Papierstreifen vornehmen mussten. Und weil man die fertige Übersetzung in zweifacher Fotokopie mit der Post an den Verlag schicken musste und sich beim Fotokopieren die überklebten Seiten im Kopierer zu einem zerknüllten Papiersalat stauten. Danke, Computer.
Ich danke meinen Freiburger Übersetzer-Kolleg*innen. Mit einigen von euch tausche ich mich schon seit Jahrzehnten in unserer Übersetzerwerkstatt über grundlegende und kleinteilige Übersetzungsprobleme aus. Wir haben zusammen „Betriebsausflüge“ gemacht, Weihnachtsbazare mit Belegexemplare-Tausch veranstaltet, Tischtennis und Boule gespielt, mögliche Stammtisch-Lokale getestet, die Entwicklung vom kleinen Literaturbüro mit Sperrmüllmobiliar bis hin zu diesem beeindruckenden Literaturhaus miterlebt und mitgetragen.Mir war unsere unorganisierte Organisationsform, das Lebendige daran, immer sehr wichtig, und es ist gut, dass unsere Werkstatt die letzten eindreiviertel Jahre digital überdauert hat, aber ich hoffe sehr, es kommen wieder leibhaftigere Zeiten (die letzten 12 Tage hier im Cafè-Ü waren ja schon mal ein vielversprechender Anfang).
Ich danke Frederik und dem Literaturhaus-Team, Jürgen Reuß, Karen Noelle und Ebba Drolshagen für die Organisation dieser fulminanten Preisverleihung. Und ich danke Joe Killi und Sir Reginald Anthony für die tolle Musik. Ich hatte mir „bisschen was Fetziges“ gewünscht, und das habe ich auch bekommen! Danke!
Ich danke meiner Tochter für all die netten und klugen Sachen, die sie über ihre Kindheit im Klapperradius der Schreibmaschine, übers Übersetzen und über mich geschrieben und gesagt hat.
In guter Danksagungstradition danke ich zuletzt Adelheid für unsere nicht nur gute, sondern auch schöne Zusammenarbeit an etlichen Büchern, für ihre unschlagbaren Assoziationen zu allen möglichen und unmöglichen Textstellen, für interessante Tischgespräche über lange Pandemiemonate und überhaupt für alles.