Rebekka an Cornelia Holfelder-von der Tann

(Dies ist die ungekürzte Fassung der Laudatio, die in Übersetzen Heft 01/2022 in Auszügen abgedruckt ist)

Liebe Cornelia,

liebe Mitglieder des Freundeskreises,

liebe – Alle:

Der Fantasy-Autor Terry Pratchett wurde in einem Interview mal gefragt, warum er mit all seinen Talenten eigentlich Fantasy schriebe, das sei doch ein ‚ziemlich ghettoisiertes Genre’. Pratchett nahm die Frage mit Humor und bedauerte, dass er tatsächlich mal ein oder zwei Bücher geschrieben hätte, die nicht sofort auf der Bestsellerliste landeten. Der Interviewer hakte nach und sagte, Fantasy würde aber nun mal nicht als ernsthafte Literatur gelten. Pratchett holte tief Luft und legte aus dem Stand eine kleine Anthropologie des Erzählens und eine Gattungsgeschichte der Genreliteratur hin: Als sich die ersten Men­schen ums Lagerfeuer scharten und Geschichten erzählten, sei es nicht um sensible Stadt­neu­rotiker in der midlife crisis gegangen, die ständig Virginia Woolf zitierten, sondern um Götter, die Blitze schleuderten. Im sumerischen Gilgamesch würde sich ein athletisch gebau­ter Typ auf die Suche nach der Unsterblichkeit machen. Im finnischen Kalevala wür­den Schöp­fungs­mythen erzählt, und es ginge – eine Nummer kleiner – um den Sampo, ein magi­sches Gerät, mit dem sich Gold, Getreide und Salz herstellen ließen. Im englischen Beowulf würde der Titelheld erst mit bloßen Händen Grendel besiegen, ein menschen­fres­sen­des Ungeheuer, und dann mit dem Schwert eines Riesen Grendels rachsüchtige Mutter. Jahre später sähe sich Beowulf einem feuerspeienden Drachen gegenüber, der sein Land verwü­stete, da ihm sein Goldschatz gestohlen worden sei.

Der Interviewer sagte nichts. Pratchett lehnte sich zurück und sagte: „Das war doch gut gegeben, oder? Auch wenn Eigenlob stinkt.“

Eins zu null für Terry Pratchett, aber das war leider nur ein Etappensieg. Fantasy­literatur im speziellen und Genreliteratur im allgemeinen haben in der Literaturkritik weiterhin einen schlechten Ruf, und das färbt auf ihre Übersetzerïnnen ab, die immer im Schatten ihrer Hochliteratur übersetzenden Kollegïnnen stehen. Ich bin daher sehr dankbar dafür, dass einige Übersetzerinnen, die anonym bleiben wollen, den Rebekka-Preis gestiftet haben, den der Freundeskreis zur Förderung literarischer und wissenschaftlicher Übersetzungen heute verleiht. Rebekka, so heißt es auf der Website, „ehrt Über­setzerïnnen, die seit vielen Jahren gut, begeistert, beharrlich und häufig schlecht bezahlt Belletristik und Sachbücher übersetzen und trotz ihrer langen Titelliste zu wenig beachtet werden – unter anderem, weil die von ihnen übersetzten Bücher selten oder nie zu jenen gehören, die im Feuilleton besprochen und mit bereits existierenden Übersetzungs­preisen geehrt werden. Dabei erreichen die von ihnen übersetzten Bücher – beispielsweise aus den Bereichen Unterhaltungsroman, Krimi, Science Fiction, Fantasy sowie Kinder- und Jugend­literatur –, oft hohe Auflagen und bilden das finanzielle Fundament vieler Verlage.

Damit ist also eine wesentliche Asymmetrie beim Übersetzen von Genreliteratur benannt: Sie hat in der Literaturkritik einen schlechten Ruf, wird aber von Hundert­tausenden gelesen. Wenn sie also faktisch eine solche Durchschlagskraft hat, brauchen wir Übersetzerïnnen, die sie kompetent und verant­wor­tungs­bewusst übersetzen. Cornelia Holfelder-von der Tann, um endlich auf unsere Preis­trägerin zu kommen, bildet in ihren Übersetzungen den Sprachgebrauch von Hunderttausenden ab, sie prägt ihn aber auch. Wie sie selbst im Podcast mit ihrer Tochter Judith Holofernes sagte, arbeitet sie „an der Front, wo sich die Sprache entwickelt“, und hat „Freude daran, Sprach­wandel zu hören“.

Die erforderliche Kompetenz hat sich Cornelia in inzwischen knapp fünfzig Jahren in unserem Beruf erworben und in dieser Zeit eine unglaubliche Bandbreite an Gattungen, Themen und eben Genres abgedeckt. Von Schubladendenken keine Spur. Angefangen hat sie Mitte der siebziger Jahre mit feministischen Klassikern – Theorie und Belletristik, wohlgemerkt: Romane von Marilyn French ebenso wie Sachbücher von Naomi Wolf, Betty Friedan und Susie Orbach. Im Lauf der Zeit kamen dann Kinder- und Jugendbücher hinzu, Krimis wie die von Philip Kerr und Marcia Muller, „Frauen-Strand­korb­romane“, als die sie selbst die romantischen Komödien oder die heute sogenannte chick lit etwa ihrer geliebten Maria Semple charakterisiert, Fantasy von Tad Williams und in den letzten Jahren zunehmend Science Fiction beispielsweise von William Gibson bzw. Near-Future-Romane. Berührungsängste kannte sie dabei nicht und hat auch mal ein Buch über Fleck­entfernung übersetzt.

Berührungsängste kennt Cornelia auch nicht, was Sonder- und Regionalsprachen angeht. Seit sie mal mit „auf dem Dachboden lebenden Heinzelmännchen mit elisa­be­tha­ni­schem Englisch“ zu tun hatte, wie sie selbst es auf den schönen Punkt bringt, interessiert sie sich für Nichtstandardsprachen und Pidgin. Sie empfindet das als einen „Leckerbissen“ ihrer Tätigkeit und hat die Möglichkeiten des Übersetzens in fiktive bzw. real nicht existierende Dialekte zu ihrem „privaten Forschungsgebiet“ gemacht. Aber was heißt „privat“? Cornelia ist nicht nur meine große Lehrerin, was speziell das unter Englisch­übersetzerïnnen so verrufene Black American English angeht. Diese große Wortsiegel­bewahrerin unserer Zunft hat immer wieder Seminare und Workshops geleitet, nicht nur zur Umgangssprache und zum Black American English, sondern auch zum Übersetzen von Krimis und historischen Romanen, und so zur Ausbildung, zur Weiterentwicklung und Reflexion unseres Sprach- und Übersetzungsbewusstseins beigetragen.

Cornelia entspricht also nicht dem Klischee des Übersetzerïnnenberufs, sondern hat weit über ihr stilles Kämmerlein hinausgewirkt und immer wieder die Klause unseres heute gefeierten Schutzpatrons Hieronymus verlassen. Sie war vor etlichen Jahren selber Vize­präsiden­tin des Freundes­kreises unter der kürzlich leider verstorbenen Ragni Maria Gschwend, und sie hat immer wieder bezahlte und unbezahlte Mentorate für Berufs­anfän­ge­rinnen übernommen. Ihr Credo lautet: „Man braucht am Anfang die Hilfe von Kollegen, die schon im Beruf drin sind und die einem dann am Anfang einfach mal helfen, einen mal mitarbeiten lassen, einen empfehlen.“

An diesem Punkt möchte ich kurz ein Loblied auf die Stadt anstimmen, in der ich heute sprechen darf. Es gibt auch in Hamburg, Berlin und München – um nur diese drei zu nennen – rührige Stammtische und Foren von Übersetzerïnnen, aber ich glaube, es gibt bundesweit nirgends ein dermaßen solidarisches Netzwerk von Übersetzerïnnen wie hier in Freiburg, das ja nicht nur dieses Festival auf die Beine gestellt, sondern sich eben auch systematisch der Förderung und Integration von Nachwuchstalenten verschrieben hat. Und so hat eben auch Cornelia immer wieder junge Kolleginnen unter ihre Fittiche genommen, die sich nach ihrer Starthilfe im deutschen Literaturbetrieb eigene Namen gemacht haben.

Ich habe eingangs die Asymmetrie zwischen der Geringschätzung von Genre­literatur im Feuilleton und ihrer faktischen Bedeutung für hunderttausende von Leserïnnen erwähnt. Hinzukommt eine zweite, vielleicht noch unsichtbarere Asymmetrie. In Diskussionen um das Urheberrecht von Übersetzerïnnen taucht häufig der Begriff der „Schöpfungshöhe“ auf. Man versucht damit zu quantifizieren, wieviel ästhetisches Hirnschmalz die Über­setzerïn in ein Werk investiert hat. Genreübersetzerïnnen gelten als Schöpfungs­tiefflieger. Ignoriert wird dabei aber, dass erstens für Unterhaltungsliteratur das Sprücheklopfen und die Wortspiele unserer Alltagskonversation nacherschaffen werden müssen und dass es zweitens auch in der Genreliteratur enzyklopädische Romane gibt. Die zweite Asymmetrie ist also: Unterm Strich mag Flutschlektüre herauskommen – aber deren Produktion ist harte Arbeit. Cornelia sagt, sie übersetze so gern Science Fiction, weil sie dabei so viel über aktuelle technologische Entwicklungen lerne. Dazu passt, dass Frank Schirrmacher den von ihr übersetzten Autor Daniel Suarez mal den „Jules Verne des digitalen Zeitalters“ nannte. Man muss diesen Vergleich in seiner ganzen Tragweite erfassen: Suarez recher­chiert wie Jules Verne neueste Technologien und macht daraus Romane; er schreibt an vorderster Front der Fachdiskussionen und Entwicklungen (nicht nur der Raumfahrt, sondern beispielsweise auch autonomer Waffensysteme). Das muss Cornelia nachahmen, sie muss sich also in wissenschaftliche Entwicklungen und Terminologien einarbeiten, die noch kein Mainstream der täglichen Zeitungslektüre sind. Nur ein winziges Beispiel: Als ich ihre Übersetzung von Suarez’ Delta V gelesen habe – einen epischen Roman über den Abbau von Bodenschätzen im Asteroidengürtel unseres Sonnensystems –, habe ich gemerkt, dass das Entscheidende und Gefährliche an asteroidischem „Regolith“ auf der entsprechenden Wikipedia-Seite gerade noch nicht steht: dass dieser Mineralstaub nämlich die Schutz­anzüge der Astronautïnnen durchlöchern kann. Bei Near-Future-Romanen muss sich Cornelia also in Sachbereiche einarbeiten, die gegenwärtig noch Expertenwissen sind. Oder wie sie selbst es mit liebenswertem Under­statement beschreibt: „Auch wenn man sich eigentlich mit literari­schen Texten auseinan­der­setzt, hat man immer einen Haufen Wirklichkeit zu bearbeiten.“

Claus Sprick, der bei Vollmond Flaubert übersetzt und tagsüber als Richter am deutschen Bundes­gerichtshof jobbte, um sich dieses Hobby leisten zu können, hat die Über­set­zerïnnen mal als „lobbylose Leisetreter des Kulturbetriebs“ bezeichnet. Diese Leisetreterei liegt teil­weise in der Natur der Sache, denn mit steigender Qualität der Arbeit sinkt die Sichtbarkeit. Der guten Überset­zerin schenkt man ungefähr soviel Aufmerksamkeit wie einem gut geputzten Fenster, das ungetrübte Sicht ins Freie gewährt. Auch Cornelia hat dieses Ethos verinnerlicht und nannte es einmal ihr „Berufsziel, nicht bemerkt zu werden“. Ich bin froh, dass ihr das diesmal nicht gelungen ist. Liebe Cornelia, ich gratuliere Dir von ganzem, vollem und dankbarem Herzen dazu, dass Du heute mit dem ersten Rebekka-Preis ausgezeichnet wirst!