Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Jury, liebe Kollegen, Freunde und Freundinnen,
die Auszeichnung mit dem Paul-Celan-Preis ist mir eine große, unverhoffte Freude und Ehre, für die ich dem Deutschen Literaturfonds und der Jury nicht genug danken kann.
Ich werde ausgezeichnet für das, was ich schon immer am liebsten tue: Lesen. Denn Übersetzen ist zuallererst Lesen und, wie Lesen, eine Lust. Lust muss es sein, Lust an der Sprache, Lust am Spiel mit der Sprache, Lust am Anderen, am Sich-Hineinversetzen in einen anderen, den Autor / die Autorin, die man in der eigenen Sprache mit den eigenen Worten sprechen lässt.
Das hat etwas mit Verwandlung, mit Schauspielerei zu tun, und wenn ich auch nicht dafür geschaffen bin, auf einer Bühne in die Haut eines anderen zu schlüpfen, ja, nicht einmal dafür, als ich selbst auf einer Bühne aufzutreten, so macht es mir doch großes Vergnügen, im Kopf und auf dem Papier Theater zu spielen.
Dass ich das tun und zu meinem Beruf machen konnte, verdanke ich glücklichen Begegnungen mit Menschen, die mir Freunde, Förderer, Lehrer, Vorbilder wurden, ohne die ich nicht hier stünde und deren Loblied ich hier singen will.
Die Demut vor dem fremden Text, die philologische Genauigkeit haben mich zuerst die Filmemacher Danièle Huillet und Jean-Marie Straub gelehrt, für die ich in den siebziger Jahren Untertitel übersetzen durfte. Danièles Strenge war eine gründliche, unvergessliche Schule.
Meine nächste Lehrerin war Maja Pflug, damals, als ich sie kennenlernte, schon Übersetzerin aus dem Italienischen, die mich überhaupt auf die Idee brachte, Literatur zu übersetzen, und mit der ich Seite an Seite am Schreibtisch sitzend, eine tippend, eine lesend, beide formulierend, sozusagen einen privaten Workshop absolvierte.
Und dann hatte ich immer wieder großes Glück mit meinen Lektoren. Das ist nicht selbstverständlich, ich fürchte, heute noch weniger als früher, und ich habe auch missliche Erfahrungen gemacht mit oberflächlichen Lektoraten, die eigentlich gar keine waren, oder im Gegenteil mit Lektoren, die ihre eigene Vorstellung, wie das Buch zu klingen habe oder wie sie meinten, dass der Leser es nur verstehen könne, durchsetzen wollten, ohne meine Entscheidungen zu respektieren. Ein gutes Lektorat dagegen sollte natürlich Fehler erkennen, die es immer gibt, aber vor allem zunächst einmal darauf vertrauen, dass der Übersetzer sich bei seinen Entscheidungen etwas gedacht hat, und ihm auf dieser Grundlage behutsam helfen, seine Arbeit zu vervollkommnen.
Ein Meister darin war der große Lektor, Freund und Förderer vieler Kollegen Helmut Frielinghaus, dem ich auf meiner allerersten Buchmesse begegnet bin, der mich an den Sartre-Herausgeber Traugott König weiterempfohlen und meine Arbeit, so lang er lebte, wohlwollend begleitet hat.
Und weil ich glaube, dass Lektoren selten öffentliches Lob bekommen, möchte ich die nennen, die mir im Lauf der Jahre lieb und teuer waren oder wurden oder sind: Elisabeth Borchers, von der ich so viel gelernt habe in meinen ersten Übersetzerjahren, bei der Arbeit an Romanen von Robbe-Grillet, Quefellec, Duras, Modiano; Elisabeth Raabe, die Pascale Kramer für mich entdeckt hat; Raimund Fellinger, der seine Anerkennung zurückhaltend, aber doch zum Ausdruck brachte, die mir viel bedeutet hat; Christiane Schmidt, deren souveräne, Hand und gleichzeitige Behutsamkeit beim Lektorieren das sichere Gefühl vermitteln, am Ende das bestmögliche Ergebnis zu erreichen; Daniela Koch, die mit mir an der „Annonce“ von Marie-Hélène Lafon so lange und engagiert geknobelt hat, bis die Übersetzung sogar die Celan-Preis-Juroren überzeugt hat, wofür ich ihr, die leider nicht da sein kann, ein extragroßes herzliches Danke zurufen möchte; und schließlich Heike Ochs, mit der ich demnächst wieder zusammenarbeiten werde, worauf ich mich schon freue, und der ich überaus dankbar bin für ihre schöne Laudatio.
In jüngster Zeit habe ich noch eine besondere Erfahrung gemacht, die hier nicht unerwähnt bleiben soll. Das war die Zusammenarbeit mit Claudia Steinitz und Tobias Scheffel bei der Übersetzung des umfangreichen Briefwechsels zwischen Albert Camus und Maria Casarès. Wir haben uns gegenseitig redigiert, konnten uns, dem Übersetzerhaus Looren sei Dank, bei einem trotz Pandemie möglichen Zusammentreffen intensiv austauschen und haben irgendwie, durch so etwas wie Sympathie, eine gemeinsame Ebene und, ja, Sprache gefunden, die das Buch zu einem Ganzen und uns zu einem glücklichen Übersetzerteam gemacht hat.
Zu guter Letzt möchte ich an diesem Tag mit Dankbarkeit meiner verstorbenen Kollegin und Freundin Eva Moldenhauer zuwinken, die mir immer Ansporn und unerreichtes Vorbild war.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit!